Debussy & Ravel arranged and performed by Gunnar Idenstam, organ

La Mer /?Boléro / La Valse

Verlag/Label: BIS-2049 SACD (2014)
erschienen in: organ 2014/03 , Seite 52

4 von 5 Pfeifen

Gunner Idenstam ist einer der herausragendsten skandinavischen Organisten, Improvisatoren und Komponisten, der durch sein konzertantes Virtuosentum genauso bekannt geworden ist wie durch sein breit angelegtes Musizieren und Komponieren, die im Cross­over ba­rocke, klassische, romantische und moderne Orgelmusik, Transkriptionen, Folklore und Einflüsse aus Pop und Rock in sich vereinen. Idenstam studierte u. a. bei Marie-Claire Alain in Paris und gewann 1984 den Grand Prix de Chartres. Inspiriert von seinem Studienaufenthalt in Paris träumte er seit dieser Zeit von einer kongenialen Transkription der großen Orchesterwerke Debussys und Ravels, um sie auf „seinem“ Instrument, der Orgel, darstellen zu können. Gleichermaßen richtete er sich dabei an die Kompositionsfaktur der Klavierversionen und die der originalen Orchesterpartituren. 
Im gut gestalteten Booklet (dt. / engl. / franz.) erläutert Gunnar Idenstam eingehend seine Prinzipien, bestimmten Orchesterinstrumenten bzw. Instrumentengruppen diverse Solostimmen bzw. Register­gruppen der Orgel zuzuordnen. Das gelingt ihm auf plausible Weise, und der Wiedererkennungseffekt stellt sich ein. Bemerkenswert ist, wie Idenstam dabei agiert, eben doch „orgelmäßig“ und nicht als bloße Nachahmungsmaschinerie von Orchesterklängen, wenngleich er meis­terhaft sämtliche dynamischen und registriertechnischen Möglichkeiten eines modernen Orgelspieltischs ausnutzt. 
Wenn man diese Aufnahme unter Heranziehung der Orchester­partitur hört, stellt man mit Bewunderung und Erstaunen fest, wie intelligent der Bearbeiter und Interpret in Personalunion die unterschiedlichen miteinander verwobenen musikalischen Schichten dieser hochkomplizierten und ausgefeilten Orchestrierung meistert und durch geschickte Auswahl reduziert. Manchmal ist es kaum nachzuvollziehen, wie ein einzelner Mu­siker auf einer einzigen Tonspur eine solche Fülle von musikalischen Ebenen bewerkstelligen kann. Ein höchstes Lob dem Interpreten und Arrangeur!
Ob jedoch dabei die ausgewählte Stahlhuth/Jann-Orgel als das optimale Medium für die subtilen, vielschichtigen und schwebend-changierenden Klänge des impressionis­tischen Großorchesters fungieren kann, mag Geschmacks- oder auch Überzeugungssache sein. Ein Instrument mit einer weitaus größeren Fülle an verschiedenfarbigen Grund- und Solostimmen sowie Or­chestereffekten, wie eine amerikanische Großorgel, hätte es meiner Überzeugung nach besser getan. 
Der Ursprung der 2001/02 durch die Firma Thomas Jann aus dem ostbayerischen Allkofen renovierten und umgebauten Stahlhuth-Orgel geht auf das Jahr 1912 zurück. Sie wurde damals schon in einem europäisch-symphonischen Stil konzipiert, d. h. sie verband deutsch-romantische Einflüsse mit Strömungen aus Frankreich und England. Mit 45 Registern auf pneumatischer Kegellade hatte sie eine breite Palette deutscher Grundstimmen und zwei Starktonregister. Einige Zungen aus einer Pariser Pfeifenmanufaktur und als Anglizismus eine Hochdrucktuba waren verteilt auf Hauptwerk, schwellbares Positiv, Schwellwerk und Pedal. Das Instrument berief sich somit in genialer Weise auf die europäischen Orgelbauideen Albert Schweitzers. Nach einer in den 1960er Jahren üblichen Neobarockisierung wurde das Instrument nach langen Überlegungen von der Werkstatt Thomas Jann renoviert, die originalen Register wieder hergestellt und rekonstruiert, Schwellwerke und Technik erneuert, die Veränderungen aus den 1960er Jahren rückgängig gemacht und die Orgel im europäisch-symphonischen Sinne mit einem Chamadenwerk auf 78 Register vergrößert. 
Die Aufnahmetechnik unterscheidet sich in hohem Maße von denen anderer CDs mit der Stahlhuth/Jann-Orgel; sie geht so nah wie nur irgend möglich an das Instrument heran und will damit größtmögliche Transparenz erzeugen. Man hört die unterschiedliche Platzierung der Pfeifen innerhalb eines Registers und in den verschiedenen Werken; Trakturgeräusche sind bei einer solchen Mikrofon­nähe unvermeidlich. Wirklich störend wirken nur die Chamaden, wohl aufgenommen nahe am Ende des Zungenbechers. Eine Gesamtwirkung stellt sich jedoch nur in einer fünfkanaligen Wiedergabe dieser hochwertigen SACD ein. Mit normalen Stereo-CD-Spielern oder -Kopfhörern kommt die Raumwirkung eklatant zu kurz und die Aufnahmetechnik wirkt ungleich weniger plastisch und überdirekt, was eher einer mikroskopischen Untersuchung eines impressionistischen Gemäldes bei OP-Beleuchtung entspräche. – Ansonsten: ein Muss für Fans von Orgeltranskriptionen.
 
Stefan Kagl