Dawning Together

Improvised music for Saxophone and Organ

Verlag/Label: Klanglogo KL 1410 (2015)
erschienen in: organ 2016/02 , Seite 60

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Die deutsch-kanadische Saxofonis­tin Claudia Tesorino ist eine Künstlerin, die sich stilistisch nicht einengen lassen will. Bei ihrem Spiel bewegt sie sich geschmeidig zwischen den musikalischen Stilen und Epochen. Zudem hat sie sich neben ihrer Tätigkeit als Interpretin einen Ruf als Improvisatorin auf ihrem Instrument erworben: „Für mich ist das die Krone des Musizierens.“ Partnerinstrument hierbei ist im vorliegenden Fall die Orgel. Auf der Suche nach einem ge­eigneten Organisten stieß Claudia Tesorino auf Armin Thalheim, der zwar vor allem als Tastenkünstler mit Erfahrung im Bereich der Alten Musik bekannt ist, doch ebenfalls als langjähriger Universitätsdozent im Fach „Improvisierte Mu­sik“.
Skepsis begleitete die ersten Versuche der Zusammenarbeit. War es möglich, so die Frage, den durch menschlichen Atem geschmeidigen Ton des Saxofons mit dem vergleichsweise unflexiblen Klang der Orgel interagieren zu lassen? Und wie könnte die dynamische Balance gelingen?
Inzwischen ist aus der anfäng­lichen Skepsis eine erprobte Partnerschaft entstanden. Auftritte bei Konzerten mündeten in die Idee, Ergebnisse des gemeinsamen Musizierens auf CD zu fixieren. Die vorliegenden Aufnahmen entstanden an der Walcker-Orgel (1968: 64/IV/P; rest. 2003: Otto Hoffmann) in der raumakustisch reizvollen Jugendstil-Kirche des Evangelischen Johannesstifts in Berlin-Spandau, die über Schweller und Registerwalze verfügt, was dem Organisten das zügige (improvisatorische) Reagieren auf Claudia Tesorinos dynamisch flexibles Spiel erleichtert. Was an Grundeinfällen vor­­her abgesprochen ist, wie viel dem Augenblick entspringt, fragt man sich angesichts des auf Tonträger fixierten Endprodukts. „Wenn man in Schwung kommt“, so die Saxofonis­tin , „dann ist das wirklich so: Jemand beginnt, und los geht’s. Da ist keine Tonart besprochen, kein Metrum. Im Grunde einigen wir uns nur darauf, wer beginnt …“
In der Tat entstehen die Stücke jeweils aus minimalen Keimen, welche von einem der beiden Partner ausgehen. Das ist vorzugsweise das Saxofon wie in der Nummer Dawning together, die der ganzen Scheibe als Motto den Namen verliehen hat. Das „gemeinsame Erwachen“ wird von Claudia Tesorino mit ruhigen, sehnsüchtigen melodischen Phrasen eingeleitet, während Armin Thalheim erst abwartet und sich dann mit sparsamen Gesten zu Wort meldet. Hier wie in manch anderen Stücken scheint auch die Aufnahmetechnik den Orgelpart zuguns­ten des Saxofons eher im Hintergrund zu halten. Letzteres vagiert zwischen klassischer Tongestaltung und der „hot intonation“ des Jazz oder erprobt sich etwa bei A good walk through the dark in mikrotonalen Bewegungen, denen mysteriöse Fernklänge der Orgel antworten. Bisweilen übernimmt Letztere die Führungsrolle: etwa im Jahrmarkt, wo Armin Thalheim ein fröhliches, rhythmisch treibendes Motiv als Startidee vorgibt, oder in den sanften Klängen, mit welchen er sich und seiner Partnerin einen Path to Paradise bahnt.

Gerhard Dietel