Martin Schmeding

Das Orgelwerk von Wolfgang Rihm

Einflüsse und Impulse eines „Ermöglichungsinstruments“

Verlag/Label: edition text + kritik, München 2022, 494 Seiten, 65 Euro
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2023/01 , Seite 56

Eine Studie zu Wolfgang Rihms gesamter erhaltener Orgelmusik ist zugleich eine Studie zu seinen kompositorischen Anfängen. Zwar sind einige Orgelstücke des 1952 geborenen Komponisten im Druck erschienen und unter Organisten, die sich für Orgelmusik der letzten sechs Jahrzehnte interessieren, bekannt, doch dürfte bislang wohl niemand einen so umfassenden Über- und Einblick zu Rihms Bezug zur Orgel und den hieraus resultierenden Schaffensnachweisen gehabt haben, wie Martin Schmeding ihn nun in seiner Publikation präsentiert.
Schmeding, der selbst seit anderthalb Jahrzehnten als Professor für Orgel wirkt, hat sich bereits länger eingehend mit Rihms künstlerischer Entwicklung beschäftigt und im Jahr 2019 eine Einspielung sämt­licher erhaltener Orgelmusik des Komponisten vorgelegt. Grundlage für all diese Arbeiten sind teils die nur handschriftlich existierenden Notate aus Rihms Jugendjahren, teils die gedruckt vorliegenden Ausgaben einzelner Orgelkompositionen.
In seiner opulenten Schrift gibt Schmeding zunächst einen biografischen Einblick in Rihms frühe musikalische Entwicklung und ihre Verwobenheit mit dem Instrument Orgel. Das Orgelschaffen des Komponisten entstand in den Jahren 1966 bis 1980 und schließt die 2012 erfolgte Überarbeitung einer Komposition ein. Diese Stücke zählt Schmeding gemeinsam mit jeweils zeitgleich entstandenen Kompositionen für andere Besetzungen auf und vergleicht ihre kompositionstechnischen Mittel miteinander. Na­heliegenderweise gibt es hier viele Übereinstimmungen. In vier weiteren Kapiteln beleuchtet Schmeding unterschiedliche Aspekte: in eingehenden Analysen die Orgelkompositionen selbst (S. 77–334), Rihms Orgel-Improvisationen (erhaltene Mitschnittte) und die Komponente Improvisation im kompositorischen Prozess (S. 335–364), die klangfarblichen Spektren der von Rihm gespielten Orgeln und seine instrumentatorische Entwicklung mithilfe des „Ermöglichungsinstruments“ Orgel (S. 365–398) sowie die Bedeutung seiner Erfahrung mit der Orgel für zumeist größer besetzte Kompositionen (S. 399–461).
In allen Kapiteln veranschaulichen zahlreiche Notenbeispiele sowie einzelne tabellarische Darstellungen die beschriebenen musikalischen Merkmale. Zudem geben Zi­tate von Rihm vielfach Impulse für die präsentierte Auseinandersetzung mit seinem Werk. Etwas schade ist, dass dem interessierten Leser keine Übersicht der gedruckten Orgelkompositionen Rihms geboten wird (auf S. 472–473 sind sie aufgelistet, jedoch gemeinsam mit anderen Kompositionen Rihms, ohne dass diese durch eine Besetzungsangabe unterschieden würden). Neben dem ein oder anderen Literaturtitel vermisst man zudem eine Auflistung der verwendeten Quellenmateriale; so sind die herangezogenen Notate aus dem Rihm-Archiv der Paul Sacher Stiftung, Basel, nur anhand der Legenden der Notenbeispiele in den verschiedenen Kapiteln sammelbar.

Daniela Philippi