Nikolaus Bruhns

Das Orgelwerk

Karsten Lüdtke an der Orgel von Alfred Führer in der Vicelinkirche Neumünster

Verlag/Label: 3 CDs, Motette MOT 14131 (2019)
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2020/01 , Seite 59

Bewertung: 4 von 5 Pfeifen

Die überlieferten Orgelwerke von Nikolaus Bruhns (geboren 1665 in Schwabstedt im heutigen Schleswig-Holstein, gestorben 1697 in Husum) gehören trotz ihrer geringen Anzahl (es sind deren lediglich fünf) gleichwohl zum unverzichtbaren Kanon des barocken Orgelmusik­erbes norddeutscher Provenienz. Würde man J. S. Bach – trotz seiner stilistisch ungleich universelleren Ausrichtung und Wirkung – als den „Vollender der norddeutschen Orgelkunst“ bezeichnen wollen, wären viele seiner (vor allem frühen) Orgelwerke beredter Beweis für den Einfluss Dietrich Buxtehudes und damit des „norddeutschen Stils“ ganz allgemein. In diesen Kontext gehören auch die Werke der anderen herausragenden Musikerpersönlichkeiten Vincent Lübeck und eben Nikolaus Bruhns.
Bruhns, aus einer Musikerfamilie stammend, kam in seiner Jugend nach Lübeck, um sich im Violin- und Gambenspiel zu vervollkommnen und avancierte dort zum Lieblingsschüler des weitum berühmten Marienorganisten Buxtehude. Nach einem in seinen Umständen bis heute nicht geklärten Aufenthalt in Kopenhagen wurde Bruhns heftig von den Räten der Städte Kiel und Husum umworben; in Husum ließ er sich 1689 nieder, wo er mit nur 31 Jahren verstarb.
Bruhns’ Stil unterscheidet sich in Ausrichtung und Wirkung seiner Affekte hörbar vom Werk seines Lübecker Mentors. Die vergleichsweise noch reichere Klangentfaltung, eine mit großer Geste überwältigende Klangrede sowie die ganz allgemein geforderte Virtuosität (Doppelpedal-Passagen!) mögen seiner ungewöhnlich vielseitigen Könnerschaft auf der Violine und der Gambe geschuldet sein, wird doch berichtet, er habe sich selbst – eine eigene Kantate singend – mit der Violine und dem mit den Füßen gespielten Basso begleitet …
Die hier zu besprechende neue Aufnahme von Bruhns’ Orgelwerk unterscheidet sich von vielen „Mitbewerbern“ zuerst einmal in der Wahl der Orgel. Während in den letzten Jahren vor allem Original­instrumente in Hamburg, Norden und Lübeck oder gelungene Kopien derselben für „kundige“ Einspielungen „nach neuester Zier“ herangezogen wurden, stellt Kars­ten Lüdtke die Alfred-Führer-Orgel von 1968 in der Vicelinkirche zu Neumünster in den Mittelpunkt seiner Aufnahme. Keine schlechte Entscheidung, gehörte doch die Wilhelmshavener Werkstätte zu den führenden und in vielen ihrer Instrumente überzeugendsten Vertretern norddeutschen Orgelbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Tat klingt das Instrument in Neumünster (1997 von der Erbauerfirma revidiert) sehr angenehm „norddeutsch“; mit Fülle, Gravität, klarer Zeichnung und schöner Charakteristik von Soloregistern hält sie über die gesamte Spieldauer der CD das Interesse des Hörers aufrecht. Vor allem der häufig zum Einsatz kommende, wunderschön vokale Principal 8’ ist von erlesener Güte! Die angenehm runde Akus­tik sorgt für räumliche Plastizität des dargebotenen Programms.
Lüdtke spielt die überlieferten Bruhns-Werke (Präludien in e, e, g und G, Choralfantasie „Nun komm der Heiden Heiland“) mit hörbar persönlicher Hingabe, Gelassenheit in der Wahl der Tempi und klarer artikulatorischer Zeichnung. Dankenswerterweise präsentiert er die Choralfantasie „Nun komm der Heiden Heiland“ in zwei unterschiedlichen Fassungen: Die unverziert von Johann Gottfried Walther überlieferte wird der verzierten Version von Johann Friedrich Agricola gegenübergestellt.
Gerne empfehle ich diese Aufnahme, auch als „Ehrenrettung“ einer bedeutenden Epoche im jüngeren deutschen Orgelbau!

Christian Brembeck