Reger, Max

Das gesamte Orgelwerk, Vol. 1

Walcker-Sauer-Oberlinger-Orgel der Evangelischen Marktkirche zu Wiesbaden, Maerz-Orgel von St. Rupert in München, „Max-Reger-Gedächtnis-Orgel“ von St. Michael in Weiden, Steinmeyer-Orgel von St. Blasius in Weiler

Verlag/Label: 4 CDs, Oehms OC 851 (2013)
erschienen in: organ 2014/01 , Seite 57

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Die geschmackvoll gestaltete CD-Box mit den vier CDs bietet zunächst ein (eher nichtssagendes) Grußwort des bayerischen Staatsministers für Wissenschaft, Forschung und Kunst, dann einen Überblick über den Inhalt der vier CDs „Frühe Werke“ und eine sehr breit angelegte, gründliche Einführung in die eingespielten Werke von „Reger-Guru“ Martin Weyer – mit fundiertem Inhalt und launig-kauziger Formulierung –, eine Biografie des Organisten und schließlich noch die (nicht sehr vollständigen!) Dispositionen der Orgeln: Hier verste­cken sich die Aufnahmedaten und die Information darüber, an welchen Orgeln welche Stücke eingespielt wurden. Die Erbauungs- und Umbaudaten der Orgeln fehlen leider gänzlich; die Manual- und Pedalumfänge sind nur einmal angegeben.
Bernhard Buttmann spielt die vielfältigen und teilweise kaum bekannten Stücke der „frühen Periode“ („früh“ stimmt nicht so ganz). Wer sich, wie der Rezensent, einmal der schweißtreibenden Aufgabe unterzogen hat, das gesamte Orgelwerk des Oberpfälzer Giganten zu durchwühlen, entdeckt so manche Kostbarkeiten, die man nicht erwartet hätte – übrigens auch bei Regers Kammer-, Klaviermusik und den wunderbaren Orchesterwerken. Dort wie hier verbergen sich einige Perlen, die allen Organisten durch die Finger gleiten, die nur mit den „gro­ßen“ Stücken Eindruck erzeugen wollen.
Zwar (CD I) sind die Drei Stücke op. 7 und die Suite e-Moll op. 16 zunächst im barocken Gestus, aber dennoch mit heftig romantischer Sprache entworfen. Buttmann spielt auf der Orgel der Marktkirche Wiesbaden und zieht ein Klanggewand aus den frankophonen 85 Registern, das sich durchaus Reger annähert. Schon hier wird offenbar, dass sich der Oberpfälzer Komponist in der barocken Fugenkunst wie zuhause bewegte.
Die zweite CD beginnt mit Regers erster Choralfantasie op. 27 („Ein feste Burg“), gefolgt von Phantasie und Fuge c-Moll op. 29 und der nächsten Choralfantasie op. 30 („Freu dich sehr, o meine Seele“). Hier kommt die Weidener Orgel zu Ton. In op. 27 könnte ich mir mehr entfesselte Dämonie vorstellen, wenn Reger die Teufel toben lässt – Eindruck am Rande. Spätes­tens bei all diesen Stücken fällt auf, dass Buttmann agogisch sehr freizügig handelt, sozusagen rhapsodisch, und zuweilen zu eigenwil­ligen Zäsuren bei Klangwechseln neigt – zuweilen, weil er durchaus auch anders kann (etwa op. 29, T. 29/30 oder T. 37); die Absicht erschließt sich mir nicht immer. Aber bitte – das sind wirklich Kleinigkeiten! Es folgen einige Werke ohne Opuszahl, darunter die allseits bekannte Introduktion und Passacaglia d-Moll, alles gespielt auf der Maerz-Orgel, mit der Buttmann eine sehr treffende Darstellung erzielt.
CD III beginnt mit den bezaubernden, aber spieltechnisch vertrackten Trios op. 47 (in unmittelbarer Nähe zu B-A-C-H op. 46 geschrieben). Hier kommt das Weidener Instrument erst recht zum Zuge. Buttmann bewältigt die Vivacissimo-Stückchen virtuos und spielt die leisen, langsamen Werkchen (dies nur auf die Kürze bezogen!) schön romantisch und empfindsam aus – partiturgerecht mit allzeit dynamischem Gehorsam.
Spätestens mit den Fünf leicht ausführbaren Präludien und Fugen op. 56 zeigen Orgel und Organist ihre ganze Bandbreite. Es beginnt ganz bezaubernd mit Präludium E-Dur, und das, sagen wir mal, im Geiste des mutmaßlichen Reger-Klangideals gestaltete Instrument lässt keine Wünsche offen, auch wenn sich die Ventile hörbar (aber nicht störend) fröhlich an der Interpretation beteiligen. Die CD schließt mit zwei Choralvorspielen ohne Opuszahl.
Mit CD IV betreten Organist und Steinmeyer-Orgel von St. Blasius in Weiler eher bekanntes Gebiet: die Zwölf Stücke op. 59, woraus Toccata und Fuge d-Moll/ D-Dur oder das „Gloria“ am ehes­ten unter Organistenfinger geraten. Erstaunlich auch hier, was Buttmann aus dem zweimanualigen Instrument zaubert, von seiner Fingerfertigkeit (nicht die Füße vergessen, denen Reger auch so einiges abfordert) ganz zu schweigen. Die rest­lichen Choralvorspiele ohne Opuszahl schließen mit klanglich ausgesuchten Registern und einfühlsamer Gestaltung die CD ab.
Fazit: (fast) nur „passende“ Orgeln, eine durchweg gute Aufnahmequalität mit angenehmem Nachhall – und vor allem ein Organist, der jenseits technischer Schwierigkeiten eine werkgerechte Reger-Interpretation liefert – sowohl in den sanften, emotional geladenen, wie in den hochvirtuosen, komplex-polyphonen Werken.
 Für 2014 ist die nächste Box (Werke der mittleren Schaffens­periode), für 2015 Box 3 und für 2016 Box 4 geplant. Man kann dem schaffensfrohen Organisten, derzeit an St. Sebald in Nürnberg tätig, nur „Traktur- und Tastenbruch“ für sein weiteres mutiges Unterfangen wün­schen.

Klaus Uwe Ludwig