Crossing Borders

Werke von Georg Böhm, William Byrd, Pablo Bruna, Béla Bartók, Gijs Boelen, Georges Bizet, Ludovico Einaudi und Erkki-Sven Tüür

Verlag/Label: STH Quality Classics 1416212
erschienen in: organ 2016/03 , Seite 59

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Ein Klassik-Gemischtwarenladen der Beliebigkeiten – oder doch eine schlüssige Programm-Dramaturgie? Der Organist Gijs Boelen, Jahrgang 1984, der in seiner Vita Jacques van Oortmerssen (Amsterdam), Louis Robilliard (Lyon) und Bernhard Haas (damals: Stuttgart) als seine prägende Lehrmeister benennt, will nach eigenem Bekenntnis mit seiner aktuellen CD Grenzen überschreiten – zeitliche wie ästhetische. Deshalb finden sich barocke Werke von Georg Böhm, William Byrd und Pablo Bruna (drei verschiedene Nationalitäten) neben solchen von Bizet, Bartók, Ludovico Einaudi und Erkki-Sven Tüür (drei musikalisch verschiedene Epochen) auf dieser Einspielung, die augenscheinlich vor allem von einem Faktor profitiert: der weltberühmten Christian-Müller-Orgel der Grote of Sint-Bavokerk im niederländischen Haarlem, die ihrerseits diskografisch bestens dokumentiert ist.
Das Werk (62/III/P) von Chris­tian Müller, zu ihrer Erbauungszeit eine der größten Orgeln der Welt, wurde 1738 fertiggestellt. 1740 soll Händel auf ihr gespielt haben, und 1766 hat sie zudem der zehnjährige Mozart gespielt. Das ist nun fraglos ein klangschönes Juwel, auf dem jedwede Musik nahezu aller Couleur geadelt wird: Böhms einleitendes C-Dur-Präludium nebst Fuge, Byrds The carman’s whistle, auch Brunas rhythmisch höchst differenziert gestaltetes Tiento de primer tono. Letzteres bietet einen erstaunlich direkten Übergang und Anschluss an Bartóks Rumänische Volkstänze, Jahrhunderte später entstanden …
Gjis Boelens eigene Vier-Minuten-Komposition Just relax macht seinem Namen alle Ehre! Soft-Music zum Zurücklehnen und Meditieren! Anschließend geht es durch und durch temperamentvoll zu, denn die fünf Transkriptionen aus Bizets Erfolgsoper Carmen entfachen Feuer und versprühen spanisches Kolorit pur! Auch hier punktet die große alte Orgel-Dame in St. Bavo auf ihre Weise: Boelen entlockt ihr stürmische Klänge sowohl für die Ouvertüre als auch die Zwischenmusik, die dem vierten Opernakt vorgeschaltet ist. Die berühmte „Habanera“ intoniert die Vox humana, während das Trompeten-Ensemble die „Chanson bohème“ übernimmt. Das ist durchweg geschickt instrumentiert und virtuos gespielt!
Seinem Faible für Minimalistisches frönt der Organist dann mit Musik des als Filmkomponist bekannt gewordenen Ludovico Einaudi und mit Spektrum I von Erkki-Sven Tüür.
In toto eine auf den ersten Blick ziemlich krude, in der Tat grenzüberschreitende Mischung diverser, ja allzu beliebiger Stile und Epochen. Ganz überzeugend erschließt sich Boelens Crossing Borders-Konzept beim Anhören allerdings nicht. Gleichwohl könnte (soll) diese Produktion wohl einen ziemlich breiten, vielleicht primär gar „orgel­fernen“ Hörer-Kreis erreichen und begeistern? Ob Filmmusik-Enthusiasten, Opern-Melomanen, nicht zuletzt die Fans der fantastischen Möller-Orgel in Haarlem hier am Ende alle gleichermaßen auf ihre Kosten kommen? Es bleiben berechtigte Zweifel.

Christoph Schulte im Walde