Guillou, Jean (*1930)

Concerto N° 5 „Le Roi Arthur“ für Orgel und Blechbläser-Quintett, op. 35

Partitur und Stimmen (Revidierte Fassung: 2010)

Verlag/Label: Schott Music, ED 21263
erschienen in: organ 2013/02 , Seite 62

Jean Guillous Fünftes Orgelkonzert Le Roi Arthur entstand 1979 als Auftragswerk für das Festival von Saint-Bertrand-de-Comminges und erhielt 2010, hauptsächlich durch die Hinzufügung einer Coda und kleine Textänderungen, noch einmal eine Überarbeitung. Bei Schott ist es nun als Partitur mit komplettem Stimmensatz erschienen. Die Besetzung ist praktischerweise übersichtlich. Neben die Orgel als Solis­tin tritt ein Blechbläserquintett in Aktion, bestehend aus Trompete, Flügelhorn (im Notfall durch eine zweite Trompete ersetzbar), Horn, Posaune und Tuba. Die Orgel sollte mindestens über drei Manuale und einen für Guillous Musik typischen reichen Fundus an Zungenstimmen (kurz- und langbecherig) verfügen sowie über eine ausreichende Palette an farbexpressiven Einzelaliquoten. Auch wenn die Aufführungsdauer von rund zwanzig Minuten „handlich“ erscheinen mag, sind – gleichfalls typisch für Guillous Werke – die spieltechnischen Anforderungen an alle beteiligten Musiker doch recht hoch, wenngleich die kompositorische Qualität und die grandiose Wirkung dieses Konzerts alle Anstrengungen rechtfertigt.
Als imaginäre Tafelrunde scharen sich die Blechbläser, jeder mit ganz individuellem Klangcharakter und Tonumfang, um „König Arthur“, der durch die Orgel (im Französischen bekanntlich maskulin) repräsentiert wird, als dem „Roi des instruments“. Wie in der mittelalterlichen Sage (die genaue Zusammensetzung der Tafelrunde variiert je nach Überlieferung erheblich) sitzen die Ritter mit unterschiedlichsten Charakteren und Eigenheiten um einen runden Tisch, sind also untereinander gleichberechtigt. Man könnte den Bläsern direkt fiktive Namen und Rollen zuweisen: der Trompete den Gawan, dem Flügelhorn Lancelot, dem Horn Parzival, der Posaune Tristan und der Tuba Mordred. Es handelt sich hierbei keineswegs um Programmmusik im traditionellen Sinne, sondern um die klingende Manifestation der Idee, Musik als Sprache, als rhetorisches Kommunikationsmittel zu begreifen: So sprach Guillou in einem Interview, das er in den 1980er Jahren bei France-Culture gegeben hat, selbst auch von der „Rhétorique et fureur poétique“. Die Auseinandersetzungen, bilderfroh-scherzhaften Schilderungen ritterlicher Abenteuer, der Streit, das Auftrumpfen des Königs, der stets das letzte Wort behält, könnten als „idée fixe“ im Sinne eines dramaturgischen Leitfadens fungieren: ein instrumentaler „Diskurs“ über Rhetorik und Sprache im Medium der Instrumentalmusik.
Der Ablauf gliedert sich in verschiedene Gesprächsgänge (Diskussionsrunden): Nach einer Exposition der einzelnen Charaktere finden sich – scheinbar befriedet – die Bläser in einem choralartigen Thema in der zweiten Runde zusammen, um im weiteren Verlauf in einen ange­regten Disput zu verfallen, der in der nächsten Runde zu friedvoller Übereinstimmung führt. Die Idylle wird durch singende Sexten im Horn suggeriert, fröhlich von der Orgel umspielt. Die ausdrucksstarke Hornkadenz ist in der Neufassung von 2010 beträchtlich erweitert worden.
Der nächste Gesprächsgang vermittelt scherzandoartig burleske Bilder, in denen das Bläserensemble und die Orgel geistreich miteinander wetteifern, doch zugleich dramatische Gesten produzieren. Im nächs­ten Abschnitt umspielen die Ritter „konspirativ“ den Ton d in allen erdenklichen rhythmischen Variationen. Revolte, fureur ist angesagt! Arthus fährt mehrmals energisch-wild dazwischen und befriedet die streitbaren Kämpfer. Das Blech lässt die Akkordschläge der Orgel, quasi als Resonanz weiter erklingen; das Konzert endet im gemeinsamen, einmütigen Triumph. Ein echter Guillou eben: virtuos, konzise-konzentriert, fesselnd, mys­tisch, archaisch – und modern zugleich: vibrierend und mitreißend!

Stefan Kagl