Schnizer, Franz Xaver (1740–85)

Concerto für Cembalo / Orgel und Streicher

hg. von Franz Lehrndorfer (†) und Ton Koopman

Verlag/Label: Dr. J. Butz, BU 2822
erschienen in: organ 2017/03 , Seite 53

Der Name von Franz Xaver Schnizer ist unweigerlich mit den beiden berühmten Chororgeln der Abteikirche der Benediktiner zu Otto­beuren verbunden, die 1766 eingeweiht worden waren und wohl zu den bedeutendsten und vielseitigs­ten Instrumenten ihrer Ära überhaupt zählen. Die Abtei hatte sich im Zuge des gewaltigen barocken Neubaus ihrer Klosterkirche (aufgrund ihrer imposanten Maße auch „Schwäbischer Escorial“ genannt) der Dienste eines Landsmanns versichert, nämlich des Orgelbauers Karl Joseph Riepp, der nunmehr in der Fremde, genauer gesagt in Burgund, zu Renommée und Reichtum gelangt war. Riepp verband in den beiden Instrumenten Elemente französischer Provenienz höchster Güte mit lieblichen süddeutschen Klängen zu einer betörenden Symbiose.
Der erste Organist an diesem Instrument war der Benediktiner Franz Xaver Schnizer, der 1740 in Wurzach geboren und im Kloster Ottobeuren erzogen worden war. 1769 wurde der Meister Leiter des Abteichors und komponierte neben Orgelmusik auch liturgische Vokalmusik sowie lateinische Singspiele für die Klosterschüler. 1773 wurde sein Opus 1, sechs Orgelsonaten beinhaltend, als einziges Werk aus seiner Feder im Druck veröffentlicht. Im Zuge der Säkularisation sind mutmaßlich zahlreiche weitere Werke verloren gegangen.
Dass in Ottobeuren auch bisweilen zu festlichen Anlässen außerhalb des liturgischen Rahmens musiziert wurde, belegt das vorliegende frühklassische Cembalo-Concerto, welches sich im Fürstlich Waldburg-Zeil’schen Archiv erhalten hat und auf den Einzelstimmen handschriftlich auf das Jahr 1770 datiert ist. Signiert ist das ebenfalls erhalten gebliebene Titelblatt mit „Sig.Schnizer“.
Franz Lehrndorfer, weltberühmter Orgelvirtuose und Pädagoge, Ottobeuren und seinen Orgeln zeitlebens besonders verbunden (zahlreiche Einspielungen zeugen von dieser sehr persönlichen Hingabe), hatte vor Jahren schon die erste moderne Druckausgabe der Orgelsonaten Franz Xaver Schnizers und dessen ebenfalls erhaltener Messe in C für Orgel, Solisten, Chor und Basso continuo besorgt (Carus-Verlag) und damit das Augen- und Oh­renmerk auf einen der fähigsten schwäbischen Barockkomponisten gelenkt. Anlässlich einer geplanten Konzertaufführung hatte er darüber hinaus die Stimmen des vorliegenden Cembalo-Konzerts gesichtet, spar­tiert und mit einer schönen, äußerst stimmigen Kadenz bereichert. Eine Veröffentlichung des wiedergewonnenen Werks konnte durch den Tod Lehrndorfers nicht mehr erfolgen, so dass nun Ton Koopman – mit freundlicher Unterstützung durch Ingeburg Lehrndorfer, die Witwe Lehrndorfers  – eine erste Edition im Verlag Butz erscheinen lassen konnte.
Das dreisätzige Werk ist sehr spielfreudig, durchaus auch mit wirkungsvollen virtuosen Skalen angereichert und spiegelt den liebenswürdigen, im besten Sinne „naiven“ Stil seines Meisters wider. Von besonderer Schönheit ist der elegante langsame Satz, der mit seiner spekulativ-fortspinnenden Solostimme bisweilen sogar an ähnliche Er­findungen Carl Philipp Emanuel Bachs erinnert.
Die Druckausgabe der Partitur ist sehr übersichtlich gehalten, dazu mit einer ausgesetzten Basso-continuo-Stimme unterlegt. Zusätzlich zu Franz Lehrndorfers Kadenz hat Ton Koopman alternativ eine solche auch nochmals aus eigener Feder beigesteuert, so dass der Spieler hier nach Gusto, oder je nach Anlass wechselnd, auswählen kann – wenn er an dieser Stelle nicht sowieso selber improvisieren möchte (und kann!).
Ein schönes Werk, das den Kanon frühklassischer Cembalo-Konzerte durchaus bereichert und mit gleichem Esprit auch auf der Orgel seine Wirkung nicht verfehlt!

Christian Brembeck