Haydn, Joseph

Concerti per l’organo

Verlag/Label: 2 CDs, Brillant Classics (2009)
erschienen in: organ 2010/02 , Seite 56

Bewertung: 3 Pfeifen

Wenn von Joseph Haydns Musikschaffen die Rede ist, denkt man wohl zuerst an dessen 107 Sinfonien, Streichquartette und Oratorien. Selten macht man sich klar, dass Haydn selbst durchaus auch eigene Erfahrung im Orgelspiel besaß. Nach seiner Entlassung aus dem Dienst als Sängerknabe am Wiener Stephansdom war er als freischaffender Musiker in den 1750er Jahren vielfach als Organist tätig gewesen, und später wurde ihm von seinem Dienstherrn, dem Fürsten Esterhazy, u. a. der Organistendienst an der Eisenstädter Schlosskirche übertragen.
Spuren in Haydns Schaffen hat dieses biografische organistische Moment in Form von konzertierenden Orgelpartien in einigen Messen, aber ebenso in Gestalt mehrerer Orgelkonzerte bzw. Stücke für „Flötenuhr“ hinterlassen. Die Quellenlage ist freilich nicht unproblematisch: nur eines der Konzerte ist autograf überliefert. Dazu herrschen Unklarheiten bezüglich der Besetzung. Nur anhand der Tonumfänge im Solopart lässt sich entscheiden, ob die jeweiligen konzertanten Kompositionen mit solistischem Tasteninstrument, im Hob.-Verz. in der Abt. XVIII zusammengefasst, eher für das Cembalo (bzw. Pianoforte) oder die Orgel bestimmt sind. Weitere Fragen ergeben sich im Orches­terpart, zumal bezüglich der in man­chen Quellen zusätzlichen Bläserstimmen.
Die vorliegende Einspielung jener sieben Konzerte Haydns für Tas­ten­instrument, die gemeinhin als „orgeltauglich“ gelten, zeichnet sich nicht zuletzt durch die verwen­deten Instrumente aus. Drei unterschiedliche an der Zahl hat der im Umgang mit Orchestern sehr versierte österreichische Organist Anton Holzapfel (Jahrgang 1966) für seine Aufnahmen ausgewählt: ein Werk des Wieners Johann Hencke aus der Pfarr- und Wallfahrtskirche Maria Kirchbüchl (auf einem ähnlichen Instrument hat Haydn wäh­rend seiner Dienste bei den Barmherzigen Brüdern in Wien gespielt), eine 1797 von Johann Gottfried Malleck errichtete Orgel in der Bergkirche Oberberg in Eisenstadt und ein einmanualiges Werk von 1750 eines anonymen Orgelbauers in der altkatholischen Kirche St. Salvator in Wien. Holzapfel spielt damit auf drei Orgeln, in denen sich noch originale Stimmen aus der Haydn-Zeit erhalten haben, und er war sichtlich darauf bedacht, diese Simmen (Bordone, Copel, Flauten …) bei seiner Einspielung in den Vordergrund zu stellen. In das verhaltene Klangbild passen die sparsam in solistischen Passagen eingesetzten, zarten (süddeutschen) Aliquoten. Was auch aufmerken lässt, weil das eben Miniaturen des reifen Haydn sind.
Solchem nach Authentizität strebenden Ansatz entspricht die Ausführung des Orchesterparts durch die Gruppe „dolce risonanza“, eben­falls auf alten Instrumenten, im Geist der historisch informierten Spielpraxis. Die Besetzungen sind den Partituren gemäß variabel: In ihrer bescheidensten Version folgen sie der Tradition des „Kirchentrios“, wo zur Orgel nur zwei Violinen und, für die Bassstimme, eine Violone hinzutreten. Den Gegenpol bilden die beiden C-Dur-Konzerte Nr. 1 und 8, wo das Orchester durch Oboen, Trompeten und Pauken verstärkt wird.
Die Interpretationen schöpfen das Potenzial von Haydns Musik indes nicht immer vollständig aus, was primär am Orchesterpart liegt, der häufig schwerfällig und durchwegs in moderaten Tempi daherkommt, gestalterisch dabei oft uninspiriert wirkt: Hier wäre gewiss einiges mehr an differenzierter Ausdrucksnuance und artikulatorischer Feinheit möglich und nötig gewesen. Eine aparte Ergänzung zu den Concerti sind einige Flötenuhrstücke Haydns aus dem Jahr 1792, was insofern aufhorchen lässt, als es sich hierbei doch um gekonnte Miniaturen des reifen Meisters Haydn handelt: von Anton Holzapfel auf dem Flötenregister der Wallfahrtskirche Maria Kirchbüchl graziös-spielerisch und leichtfüßig gedeutet und somit gezielt ein mechanisches „Spielwerk“ beschwörend.

Gerhard Dietel