Ropartz, Joseph Guy (1864-1955)

Complete Organ Works

Verlag/Label: 2 CDs, Aeolus AE-10391 (2017)
erschienen in: organ 2017/03 , Seite 51

5 von 5 Pfeifen

Dem Namen des Komponisten Joseph Guy Ropartz (1864–1955) be­gegnet man vereinzelt immer wieder einmal, wenn es sich um französisch-romantisches Orgelrepertoire handelt. Aber Ropartz’ Musik? Wer kennt sie wirklich? Sie führt wohl eher ein dürftiges Schattendasein. Eigentlich verwunderlich, denn das Œuvre des in der Bretagne geborenen Komponisten bietet stilistische Vielfalt, zeugt von großer Inspiration und liefert, was die spieltechnischen Voraussetzungen angeht, eigentlich alles: von leicht ausführbarer liturgischer Musik bis hin zum groß angelegten virtuosen Bravourstück fürs Konzert.
Dass Joseph Guy Ropartz ein wirklicher Meis­ter im Erfinden von Melodien, im Umgang mit Formen und kontrapunktischem Satz ist, do­kumentiert Markus Eichenlaub, seit 2010 Domorganist am roma­nischen Kaiserdom zu Speyer, mit seiner Einspielung sämtlicher Orgelwerke – immerhin 150 (!) Minuten Musik – und liefert damit zugleich ein klares Plädoyer für einen fast Vergessenen. Mitunter sind Ro­partz’ bretonische Wurzeln direkt spürbar wie in der Rhapsodie sur deux Noëls populaires oder den Variationen „Sur un thème breton“ aus den Trois Pièces. Dezidiert dem semi-professionellen Organisten wie auf den Leib geschneidert sind die Vêpres des Saint Femmes sowie die drei leicht ausführbaren Stücke unter dem Titel Au Pied d’Autel. Gleichwohl anspruchsvolle und ansprechende Miniaturen, die einen eleganten Eindruck machen.
Ropartz’ poesievolle Musiksprache ist durch und durch französisch-spätromantisch geprägt – den Blick vielmals in Richtung des romantischen Großmeisters Franck gerichtet, aber auch nach Osten hinüber, nach Deutschland, wo er sich bei Schumann so einiges abschaut. Oder bei Liszt, wofür das „Andante con moto“ aus den Deux petites pièces ein in seiner klanglichen Sinnlichkeit berührendes Beispiel ist.
Berührend ist im Kontext dieser Doppel-CD vor allem auch die we­nig bekannte Cavaillé-Coll-Orgel im spanischen Azkoitia im Baskenland. Ein fantastisches klangsinn­liches Instrument mit 40 Regis­tern, die im Grand Chœur – wie so oft bei Cavaillé-Coll – eher wie 80 oder 90 Register klingen! Schon die ers­ten Töne von Introduction et Allegro moderato lassen sofort aufhorchen: ein sattes Plenum, von verschmelzungsfähigen orchestralen Zungen dominiert, grundiert von raumgreifend-voluminösen Grundstimmen. Im weiteren Verlauf dann das typische Ensemble an charakteristischen romantischen Solostimmen. Auf der Grand-Orgue eine majestätische Zungenbatterie nebst zwei (spanischen!) Chamadestimmen – das macht gewaltigen Eindruck, vor allem weil Eichenlaub diese Ressourcen dosiert und gezielt einzusetzen weiß, dabei ein sicheres Gespür für dramaturgische Effekte beweist. Dieses Instrument, so ist im vorbildlich mit Informationen angereicherten Booklet zu lesen, war das letzte große, für das Aristide Cavaillé-Coll persönlich verantwortlich zeichnete. Eichenlaubs CD ist dagegen hoffentlich nicht die letzte Produktion an dieser Orgel. Sein Ropartz jedenfalls ist ein absoluter Hörgenuss!

Christoph Schulte im Walde