Cavazzoni, Girolamo
Complete Organ Works
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Ivana Valotti, ausgewiesene Expertin für die Tastenmusik des 16. bis 18. Jahrhunderts ihres Heimatlandes Italien und Professorin am Mailänder Konservatorium, hat mit dieser CD eine Einspielung sämtlicher überlieferter Werke Girolamo Cavazzonis (1506/12? nach 1577) für Tasteninstrumente vorgelegt.
Um es gleich vorwegzunehmen: Der Clou dieser Aufnahme ist klar das durchaus als singulär zu bezeichnende Instrument aus der Periode der italienischen Spätrenaissance: nämlich die Orgel aus der Werkstatt von Graziadio Antegnati, 1565 in der Basilica palatina di Santa Barbara (ehemalige Hofkirche der Fürsten Gonzaga) zu Mantua errichtet als Organo in cornu Epistulae. Cavazzoni hatte die Disposition des Instruments bestimmt und den Bau persönlich überwacht. Nach einer umfänglichen Restaurierung in den Jahren 1995 bis 2006 scheint das Instrument hörbar seine ursprüngliche Frische und Schönheit wiedererlangt zu haben.
Cavazzoni, dessen Lebensdaten ziemlich im Dunklen liegen, wurde wohl in Bologna oder auch Urbino als Sohn des Organisten Marco Antonio Cavazzoni geboren, hielt sich vermutlich in früher Jugend in Venedig auf und war spätestens seit 1565 Organist an der erwähnten Hofkirche in Mantua. Sein überliefertes uvre ist im Wesentlichen in zwei Büchern (Intavolatura libro primo, gedruckt zu Venedig 1543; Intabulatura dorgano, nicht datiert, etwa zwischen 1543 und 1549 veröffentlicht) überliefert. Beide Bände enthalten Hymnen, Ricercare, Canzonen, Magnificat-Vertonungen für die übliche Alternatim-Praxis sowie drei Orgel-Messen. Beeinflusst wurde Cavazzoni wohl vor allem durch die Musik des Franco-Flamen Adrian Willaerts; zugleich sind seine Kompositionen maßgebliche Vorbilder für ähnliche Werke von berühmten Zeitgenossen Italiens wie Girolamo Frescobaldi, Claudio Merulo, Adriano Banchieri und Andrea Gabrieli. Cavazzonis Stil ist von meisterlichem Umgang mit dem Kontrapunkt geprägt, durchdrungen von überraschenden harmonischen und thematischen Wendungen, reichen rhythmischen Details und fantasievoller Diminutionstechnik.
Die Aufnahme Valottis ist von großer persönlicher Anteilnahme geprägt, welche das Anhören der beiden CDs auch am Stück deutlich erleichtert und beim Hörer gar zu gewissen wohligen Rauschzuständen führen mag
Die klanglich bezaubernde Räumlichkeit der Mantueser Basilika ist natürlich und angenehm eingefangen. Die umfangreichen Texte aus der Feder der Interpretin (ital./engl.) sind informativ und für das Verständnis des speziellen Repertoires hilfreich.
Valotti registriert absolut überzeugend, nebenbei sind die wichtigsten Register solistisch wie auch in Ensemblemischungen dargestellt und ermöglichen so ein intimes Kennenlernen dieser wundervollen Antegnati-Orgel. Valottis schon erwähnte Anteilnahme erweist sich vorab in der nicht minder persönlichen als überzeugenden Interpretation, die stilistisch tadellos und musikantisch sehr durchdrungen den geneigten Hörer mühelos zu erreichen vermag. Eine echte Empfehlung für Freunde der Musik dieser bedeutenden Epoche!
Christian Brembeck