Schildt, Melchior (1592–1667)

Complete Organ Works

Mit weiteren Werken von Delphin Strungk (1601–94) und Anonymus

Verlag/Label: SACD, Aeolus AE 11121 (2016)
erschienen in: organ 2017/01 , Seite 54

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Die Musik der norddeutschen Orgelmeister des 17. und 18. Jahrhunderts ist neben ihrer – sich wechselseitig befruchtenden – Bedeutung für die reich entwickelten Orgel­ty­pen dieses Zeitalters ein Faszinosum! Dem „gemeinen“ heutigen Organisten sind natürlich die Hauptvertreter dieser Or­ganis­ten-Kom­po­­nisten-Generatio­nen ein Begriff, deren musikalische Hinterlassenschaft aus dem allgemeinen Repertoire nicht wegzudenken ist. Leider haben auch hier große Namen manch verdienstvollen und nicht minder bedeutenden Zeitgenossen in den Hintergrund abgedrängt …
Umso schöner ist es, dass sich nun der niederländische Organist und Cembalist Leon Berben des überlieferten Gesamtwerks von Melchior Schildt und Delphin Strungk angenommen und dieses an einer der schönsten und bedeutendsten Orgeln des 17. Jahrhunderts in mus­tergültiger Edition eingespielt hat. Die Scherer-Orgel der Stephanskirche zu Tangermünde ist ein singulär schönes Instrument, das wohl mit am eindrücklichsten die prägenden niederländischen Einflüsse auf den norddeutschen Orgelbau des frühen 17. Jahrhunderts erkennen lässt.
Melchior Schildt wurde mutmaßlich in Hannover in eine Organis­tenfamilie hineingeboren und erhielt 1623 (nachdem er zuvor bei Sweelinck in Amsterdam in die Lehre gegangen war) die Organis­tenstelle an der Hauptkirche Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel. Dort ergab sich wohl auch ein überlieferter handfester Streit zwischen ihm und dem Orgelbauer Gottfried Fritz­sche, der offensichtlich mit der Fertigstellung des Instruments um Jahre im Verzug war. Später ging Schildt nach Kopenhagen an den dänischen Hof, um 1629 seine wichtigste Stelle an der Marktkirche zu Hannover anzutreten.
Schildts erhaltenes Œuvre ist nicht sonderlich umfangreich: Zwei Praeludia, ein groß angelegtes Magnificat und meh­rere Choralbe­arbeitungen erweisen den Kompo­­nis­ten als fantasievollen und neuen Entwicklungen gegenüber aufgeschlossenen Meis­ter. Johann Gottfried Walther schreibt in seinem berühmten Lexicon über Schildt, „er könne, nachdem es ihm gefällig, spielen, dass man lachen oder weinen müsse“.
Der zweite mit dieser Einspielung vertretene Meister ist Delphin Strungk, welcher als Nachfolger Schildts in Wolfenbüttel wirkte, ebenfalls für kurze Zeit in höfische Dienste (zu Celle) trat und später Martini-Organist in Braunschweig wurde. Von Strungks wohl reichem Schaffen ist ebenfalls nur wenig erhalten; der lesenswerte Text der CD verweist darauf, dass die „Praxis des Improvisierens […] eine Selbstverständlichkeit war“, und zitiert die überlieferten Berichte von hamburgischen Orgelproben. Dieses Kunstfertigkeit war sicher das Haupthandwerkszeug der Orgelmeister des 16. bis 18. Jahrhunderts und gipfelte spät in der Bewunderung des einschlägigen Könnens von J. S. Bach. Leon Berben interpretiert klug und unaufgeregt, seine umfänglichen Kenntnisse der Artikulations- und Registrierkunst einbringend; der Klang der Aufnahme ist sehr natürlich. Das solide recherchierte Book­let sei eigens hervorgehoben!

Christian Brembeck