Weitz, Guy (1883–1970)

Complete Organ Works

+ Werke von Joseph Jongen

Verlag/Label: 2 SACDs, aelous, AE 11091 (2016)
erschienen in: organ 2016/04 , Seite 56

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Dieses Schicksal teilt Guy Weitz (1883–1970) mit etlichen anderen Komponisten aller Epochen: Zu Lebzeiten berühmt, erfolgreich und hoch geehrt – nach dem Tod sodann rasch vergessen! Bis heute sind die Orgelkompositionen des Belgiers kaum noch im gängigen Konzertrepertoire verankert. Das könnte und sollte sich ändern, denn Peter Van de Velde, Kathedralorganist in Antwerpen, bricht mit seiner Einspielung eindeutig eine Lanze für das Œuvre seines Landsmanns, mit dem näher zu beschäftigen sich fraglos lohnt.
Weitz war tief verankert in der harmonischen Sprache der französisch-belgischen Spätromantik und blieb dies auch, nachdem er mit seiner Familie im Jahr 1914 nach dem Überfall der Deutschen aus seinem Heimatland nach London geflohen war und dort sein gesamtes weiteres Leben verbrachte – also quasi ein Inseldasein fristete, noch verstärkt durch den Umstand, dass Weitz offenbar nicht zu jenen Charakteren gehörte, die besonders gern Freundschaften pflegen und offen sind für rege Kommunikation.
Wie ein „roter Faden“ zieht sich die Gregorianik durch fast alle Werke, die Peter Van de Velde, Jahrgang 1972, für sein Programm ausgewählt hat. Weitz teilt diese Passion etwa mit Charles Tournemire; anders als dieser bleibt er klangästhetisch aber eher in der Nähe von Louis Vierne – um dessen Chromatik dann in seinen späten Werken fast doch noch zu über­bieten (geht das überhaupt?) und Schritte auf dem Weg zur Neoklassik hin zu gehen. Bestes Beispiel: die 1968 veröffentlichte Prière (mit dem Untertitel Prélude on „Salve Regina“), die zum einen noch deutlich an Viernes 6. Sinfonie erinnert, zum anderen aber mit schon fast clusterhaft wirkenden Momenten aufwartet. Oder die Paraphrase on „Regina Coeli Laetare“, die sich schon allein registrierungsmäßig (durch die Verwendung hoch liegender Aliquoten und Mixturen etwa) von der Spätromantik verabschiedet.
Unbedingt hörens- und spielenswert: Weitz’ zwei Sinfonien aus den Jahren 1930 resp. 1949. Futter für Virtuosen und dankbar fürs Auditorium! Das erste, dreisätzige Werk dieser Gattung kreist um marianische Themen (mit grandioser „Stella Maris“-Toccata als Finale), das zweite, fünfsätzige liefert „saftig“ sich aufbauende orchestrale Klangflächen und meditative Ruhepunkte gleichermaßen.
Eine gute Idee: Die Werke von Guy Weitz werden auf beiden CDs ergänzt um solche seines Landsmanns Joseph Jongen (Quatre Pièces und Sonata Eroica) – gut, weil sie auf den beiden Antwerpener Orgeln fabelhaft klingen: Bernard Pels & Zoon errichtete 1935 das Instrument in St. Laurentius, Pierre Schyven 1891 das neunzigstimmige in der Kathedrale, das hier zum letzten Mal vor seiner inzwischen laufenden Restaurierung dokumentiert wurde. Aufnahmetechnisch bleiben keinerlei Wünsche offen, die Ausstattung des viersprachigen Booklets mit Texten und Bildern ist maßstabsetzend.

Christoph Schulte im Walde