Bach, Carl Philipp Emanuel

Complete Organ Music

Verlag/Label: Brillant Classics 94812 (2014)
erschienen in: organ 2014/03 , Seite 49

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Luca Scandali verdanke ich zwei Stunden schöner (Orgel-) Musik. Dieses „schön“ bezieht sich auf drei Ebenen. 
Zum einen höre ich gerne die Orgel der Pfarrkirche Santa Maria Assunta. Auch wenn das Instrument keiner spezifischen Orgellandschaft verpflichtet ist, ermöglicht die Orgel aus Vigliano die Ausführung eines relativ breiten Werkspektrums mit dem zeitlichen Schwerpunkt 18. Jahrhundert und möglichen räumlichen Präferenzen mitteldeutschen und klassisch-französischen Repertoires. Mit einem runden und charmanten Klang, besonders in den zurückhaltender registrierten Stü­cken – bezaubernd! Das alleine würde schon ausreichen, um Freude an der CD zu haben in Verbindung mit überzeugenden Interpretationen der doch sehr unterschiedlichen Kompositionen. 
Zum zweiten interessiert der Tonträger als gewichtiger Beitrag zur Entwicklung der Orgelsonate, die sich bei Carl Philipp Emanuel Bach weitgehend von den Mustern der barocken (Orgel-) Triosonate gelöst hat. Strukturell und klanglich linsen bereits Mendelssohn und Rheinberger durchs Schlüsselloch der Tür zur Orgelempore. Liegt das quantitative Gewicht des Orgelwerks am preußischen Hof auf den sechs Orgelsonaten, so zeigen die sechs Fugen als kontrapunktische Form(en) gleichfalls stilistische Varietas und eine gesunde Mischung aus seinen legendären musikalischen Wurzeln, seiner Lust auf Neues und auch seinem wohldosierten Hu­mor ­– die wohltuende zweite Ebene. 
Obligates Pedal – ja oder nein? Im Zusammenhang mit den Orgelsonaten interessieren aufführungspraktische Aspekte als dritte Ebene. Im Booklet stellt Scandali eine Verbindung zwischen vier der Sonaten und Anna Maria von Preußen, der Schwester Friedrichs des Großen her, die nicht nur gerne Orgel spielte, sondern auch ihr eigenes zweimanualiges Werk mit Pedal besaß – ohne dieses jedoch spielen zu können. Natürlich hat C. P. E. Bach den Pedaleinsatz nicht untersagt, und Luca Scandali findet pragmatische Möglichkeiten „ad libitum“, die sich gut anhören. Wie orgelmäßig Bachs Orgelsatz jeweils ausfällt, darf sicherlich gefragt werden. Auf jeden Fall ist sein Orgelwerk kaum liturgisch verankert. Die fünf Choräle mit ausgesetzten Mittelstimmen wirken wie harmonische Versuche, die an Kunstfertigkeit kaum heranreichen. Aber sie gehören dazu. 
Das alles ist ambitioniert und mutig, vielleicht noch ein bisschen strittig. Raum für Studien und Diskussionen. Gut! Gute Gründe, C. P. E. Bach nicht nur ein eigenes 300. Geburtstagsständchen zu spielen. Ich werde die zwei Stunden gerne dann und wann wiederholen.
 
Johannes Ring