Bach, Johann Sebastian
Complete Organ Music, Vol. 4
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Die Vielzahl an (unterschiedlich kompletten) Gesamteinspielungen der Orgelmusik Johann Sebastian Bachs zu überblicken und zu charakterisieren, wäre inzwischen selbst schon eine musikwissenschaftliche Forschungsarbeit wert. Zu den bisher unternommenen Interpretationen gesellt sich jüngst die Neueinspielung des italienischen Organisten, Cembalisten und Musikwissenschaftlers Stefano Molardi, die mit dem vorliegenden, vier CDs enthaltenden Volume 4 ihren Abschluss findet.
Schon in den vergangenen Teilen dieses Projekts hatte Molardi ausschließlich auf Instrumenten aus Bachs näherem zeitlichen und geografischen Umfeld musiziert: der Trost-Orgel in Waltershausen, der Silbermann-Orgel der Dresdner Hofkirche und einem Instrument von Zacharias Hildebrandt aus Sangershausen. Für den Abschluss seines Projekts stand Molardi die 172831 von Johann Christoph Thielemann errichtete Orgel der Dreifaltigkeitskirche im thüringischen Gräfenhain zur Verfügung: ein zweimanualiges, modifiziert mitteltönig gestimmtes Instrument mit 21 Registern, das zu den wenigen noch bespielbaren Werken Thielemanns zählt und in den Jahren 1993 bis 1996 eine Restaurierung durch die Orgelbaufirma Waltershausen erfuhr.
Einen Schwerpunkt dieses choralgebundene wie freie Orgelmusik enthaltenden Volume 4 bilden Frühwerke, die Bach in der konstruktiven Auseinandersetzung mit Vorgängern wie Pachelbel, Böhm und Buxtehude oder auch italienischen und französischen Vorbildern Frescobaldis und de Grignys zeigen. Fast vollständig sind hier unter anderem die erst 1985 publizierten frühen Orgelchoräle aus der Neumeister-Sammlung enthalten. Doch auch Bachs Spätwerk ist mit Präludium und Fuge BWV 546 vertreten, und an umfangreicheren Kompositionen enthält diese CD-Box Bachs c-Moll-Passacaglia sowie die Pastorella BWV 590. Mit Präludium und Fuge in d-Moll BWV 539 berücksichtigt Molardis Auswahl ferner ein Werk von zweifelhafter Authentizität.
Der Größe des verwendeten Instruments entsprechend herrscht bei Molardis Einspielungen ein eher durchsichtiges, nie wuchtiges Klangbild, so dass auch die populäre d-Moll-Toccata BWV 565 dem Hörer ohne den üblichen Überwältigungsgestus in einer schlanken, ebenso virtuosen wie fantasievoll-freien Gestalt begegnet. Molardis Einspielung holt Bach sozusagen vom Sockel und präsentiert dessen Orgelmusik weniger als numinose Erscheinung denn als Musik menschlichen Maßes. Die Aufnahmetechnik unterstützt noch den Eindruck der Nähe: Es ist, als würde der Hörer nicht auf die übliche Distanz zur Orgelempore gehalten, sondern blickte dem Spieler quasi über die Schulter. Dabei befleißigt sich Molardi eines klar artikulierten und phrasierten, oft leicht inegalen Spiels, was besonders bei Bachs Choralbearbeitungen und -Partiten einen ungemein sprechenden Eindruck hervorruft.
Gerhard Dietel