Petr Eben

Complete Organ Music, Vol. 1

Janette Fishell an der Maidee H. und Jackson A. Seward-Orgel in Jacobs School of Music's Auer Hall & Simon Music Center, Indiana University in Bloomington (USA)

Verlag/Label: 3 CDs, Brilliant Classics 96312
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2023/02 , Seite 63

4 von 5 Pfeifen

Petr Eben (1929–2007) gilt als einer der bedeutendsten Komponis­ten der Tschechoslowakei bzw. Tschechiens. Die politischen Ereignisse, die sein Land im 20. Jahrhundert umwälzten, hat er am eigenen Leib hautnah erfahren. Nach der deutschen Besetzung 1938 musste er als Kind Zwangsarbeit leisten, bevor er kurz vor Kriegsende ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert wurde. Er überlebte wie durch ein Wunder. Eben blieb in der Tschechoslowakei, war 1968 Zeuge des „Prager Frühlings“ und 1989 der „Samtenen Revolution“, die den politischen Sys­temwechsel herbeiführte. Der Titel der CD-Box – Velvet Revolution – nimmt darauf Bezug.
Generell ist dieses Volume 1 als Dreier-Konzeptalbum angelegt: Ja­nette Fishell spielt nicht nur die Orgel, sondern hat auch den Book­lettext verfasst. Jede der drei CDs trägt einen Titel: A Voice Crying in the Wilderness – Works of the Young Composer, The Devil is in the Details – Faust for Organ und God’s Reward – Job for Organ. Auf der ersten – meiner Meinung nach besten – CD erklingen Ebens Frühwerke Nedělní Hudba (1958), Laudes (1964) sowie die beiden Schwesterwerke Fantasia Corale I und II (1972). Auf der CD 2 hören wir neben Faust die beiden Versetti (1982), auf CD 3 neben Job bzw. Hiob für Orgel und Sprecher (1987) die Kleine Choralpartita über „O Jesu, all mein Leben bist Du“ (1978). Der Booklettext über die Organistin weist darauf hin, dass Fishell von 1984 bis zu Ebens Tod 2007 mit dem Komponisten zusammengearbeitet hat und mit ihm befreundet war. Sie sei nichts weniger als „die führende Autorität“ in Sachen Eben. Hört man ihre ebenso leidenschaftlichen wie rhyth­misch akzentuierten und dabei von der absoluten Beherrschung des Instruments zeugenden Darbietungen, möchte man dem sofort zustimmen. Hinzu kommt, dass sie die Werke auf einer Orgel spielt, die für die Aufführung von Ebens Orgelwerken wie geschaffen zu sein scheint. Leider verzichtet das Book­let auf nähere Hinweise zum Instrument, bietet stattdessen nur einen Link an. Wer ihn öffnet, erfährt, dass es sich um die 2010 von der Firma C. B. Fisk gebaute Orgel op. 135 handelt, die über 57 unabhängige Stimmen, 70 Register und 3945 Pfeifen verfügt. Als Professorin des Orgelfachs unterrichtet Fishell an genau diesem machtvollen Instrument der Jacobs School of Music, Indiana University in Bloomington, USA.
Am intensivsten gelingen Fishell die Interpretationen von Ebens mo­dern-expressiven Frühwerken, die sie genau aus diesem rebellischen Geist („A Voice Crying in the Wilderness“) heraus spielt, was den Stücken einen unglaublichen Drive verleiht. Gemäßigter und illustrativer klingen Faust und Job, was vor allem an den Werken selbst liegt, die bei aller Suggestionskraft – und derjenigen von Fishell – mitunter etwas plakativ-programmmusikalisch wirken und dem Hörer damit die Möglichkeit einer eigenen Deutung eher versperren als öffnen. Es hätte die Eben-Referenzbox werden können – wenn das Label nur darauf verzichtet hätte, die Rezitationen in Job aus dem Off heraus einzusprechen. Text und Musik kommen so leider überhaupt nicht zusammen. Schade. Ansonsten: Top!

Burkhard Schäfer