Amilcare Ponchielli

Complete Organ Music

Marco Ruggeri an der Bossi-Orgel (1856) von St. Bartolomeo in Vescovato und an der Inzoli-Orgel (1873) von St. Dalmazio in Paderno Ponchielli (Italien)

Verlag/Label: 2 CDs, Brilliant Classics 96019 (2019)
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2020/01 , Seite 61

Bewertung: 3 von 5 Pfeifen

Nach ihrem Tod oft nur mit einem einzigen ihrer Werke im kollektiven Gedächtnis der Musikgeschichte ver­ortet zu bleiben: dieses Schicksal teilen viele Komponisten. Zu ihnen gehört Amilcare Ponchielli (1834–86); das Werk, mit dem man noch heute spontan den Namen seines Schöpfers verbindet, ist die 1876 uraufgeführte Oper La Gioconda. In dieser wiede­rum gibt es einen echten Schlager mit Ohrwurmqualität: die „Danza delle ore“, den „Tanz der Stunden“. Ursprünglich eine Ballett-Zwi­schen­musik im dritten Akt der Oper, machte der Tanz zweifelhafte Karriere als Wunschkonzert-Titel in Hörfunk und Fernsehen oder wurde, fragmentarisch verhunzt, als musikalische Folie für irgendwelche Produktwerbung missbraucht.
Jetzt reüssiert der „Tanz der Stunden“ als süßes Konfekt in einer Orgelversion aus der Feder von Marco Ruggeri. Und zwar als Zugabe zu der Doppel-CD, auf der Ruggeri, 1969 in Cremona geboren, das Gesamtwerk für Orgel von Amilcare Ponchielli einspielt. In der Tat sind es rund zwei Stunden Musik, die Ponchielli der Orgel gewidmet hat – mehr oder weniger dezidiert, denn wie so oft bei (nicht nur) italienischen Meis­tern ist die Grenzziehung zwischen Orgel und anderen Tas­teninstrumenten wie Cembalo oder Klavier nicht immer scharf. Doch die Orgel wird Ponchielli ganz gewiss vor­geschwebt haben in all seinen „Pastoralen“ und den anderen Genre-Stückchen, für die man sich durchaus einen Platz innerhalb der gottesdienstlichen Liturgie im Italien des 19. Jahrhunderts vorstellen kann – immerhin arbeitete der spätere Opernkomponist etliche Jahre selbst als Organist!
Der Charakter von Ponchiellis Orgelmusik ist indes alles andere als fromm und andächtig, im Gegenteil. Manches kommt mal mit Bravour als typische Opern-Arie daher, mal als sanfte Begleitmusik bukolischer Szenen, gern auch mal als zackiger Marsch mit Pauken und Trompeten. Durch all diese Musik weht ein permanentes Opernparfüm. Und eine ordentliche Portion Theaterdonner findet sich selbst in der Marcia funebre – Elegia in memoria del padre, die mit gewaltigem Wum-Ta-Ta und großem Tusch zum Finale auftrumpft: Totengedenken auf typisch mediterrane Art und Weise!
Beide Orgeln, die Marco Ruggeri für seine Gesamtaufnahme ausgewählt hat, bieten einen bemerkenswerten Farbenreichtum, der es dem Interpreten leicht macht, die kompositorisch mitunter etwas gleichförmig ausfallenden Orgelstücke in­teressant in Szene zu setzen. Wer die beiden CDs ohne Unterbrechung hört, wird gleichwohl nicht ganz der Gefahr entgehen, womöglich einen Drehwurm zu bekommen!
Christoph Schulte im Walde