Matthias Weckmann

Complete Organ Music

Matteo Venturini an der Orgel der Kirche „Unsere Liebe Frau von Fatima“ in Pinerolo (Italien)

Verlag/Label: Brilliant Classics 95229 (2019)
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2020/01 , Seite 58

Bewertung: 3 von 5 Pfeifen

Er war einer der ganz Großen in der Mitte des 17. Jahrhunderts: der Schütz-Schüler und -Intimus Matthias Weckmann (1619–74). Der in Thüringen geborene Pfarrerssohn kam als Knabe in die Dresdener Hofkapelle, wo er eine umfassende Ausbildung erhielt – nicht zuletzt durch den kurz zuvor von seiner Italienreise zurückgekehrten und mit starken musikalischen Eindrücken bereicherten Heinrich Schütz. Der berühmte „Sagitta­rius“ führte Weckmann persönlich in Hamburg ein, wo der junge Musiker seine Ausbildung fortsetzen und den einflussreichen Stil des „Organistenmachers“ Sweelinck ken­nenlernen konnte.
Aufgrund der Verbindungen des sächsischen und des dänischen Hofes reiste Weckmann mehrfach nach Kopenhagen, mit und ohne seinen „väterlichen Freundt“ Schütz. Später wirkte Weckmann in „gehobener“ Stellung am Dresdner Hof, wo es im Winter 1649/50 zu der berühmten und segensreichen Begegnung und lebenslangen Freundschaft mit und zu Johann Jakob Froberger kam. 1655 wurde Weckmann zum Organis­ten an St. Jacobi in Hamburg bestellt, wo er sich im Kontext eines der bedeutendsten Zentren der damals zeitgenössischen (Kirchen-)
Musik befand.
Weckmanns Orgelschaffen war spätestens durch seine große viermanualige Orgel in St. Jacobi inspiriert, die damals – vor Schnitgers Neubau 1693 – in ihren klanglichen Möglichkeiten vor allem durch die Mitglieder der aus Sachsen stammenden Orgelbauerfamilie Fritzsche geprägt war.
Nach Weckmanns Tod kam ein bedeutender Teil seines Œuvres über seinen Nachfolger und Schwiegersohn in die Hände Georg Böhms in Lüneburg, erhalten bis heute in der Lüneburger Ratsbibliothek. Einflüsse seiner Lehrergenera­tion (Schütz, Sweelinck) sowie seiner Kollegen und Freunde (Scheidemann, Tunder, Froberger) vereinen sich in Weckmanns Musik zu einem wahren „Füllhorn“ der Musik der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts im Allgemeinen und des norddeutschen Repertoires dieser Zeit im Besonderen.
Der italienische Organist Matteo Venturini hat nun eine Einspielung aller heute bekannten, eindeutig der Orgel zugeschriebenen Werke Mat­t­hias Weck­manns vorgenommen; als „Medium“ dient ihm eine mittelgroße Orgel (III/34) von Dell’ Orto & Lanzini (Arona) nach Schnitger’­chen Vorbildern. Das In­strument befindet sich in der Kirche „Unsere Liebe Frau von Fatima“ in Pinerolo und entfaltet sich in einem trans­parent klingenden Raum mittlerer Größe recht sympathisch, dunkle Gravität und schöne Zeichnung der Registercharaktere eingeschlossen. So weit, so gut; nach längerem Hören der Aufnahme fällt dann aber eine gewisse „Synthetik“ des Klangs auf, die nicht zuletzt der recht „entspannten“, nicht besonders charakteristisch wirkenden Stimmung der Orgel und einer gewissen Tendenz zu „italienischer Weichheit“ geschuldet sein mag. Erschwerend kommt hinzu, dass die Stimmung der Labialen (insbesondere der Mixturen) nicht perfekt ist. Über manche Registrierung von Venturini ließe sich ebenfalls diskutieren – manch klangliche Zusammenstellung ist mir stilistisch zu unklar und pauschal.
Eine solch ambitionierte Gesamtaufnahme sollte man vielleicht doch bevorzugt an wirklich erschöpfend adäquaten Instrumenten (traumhaft wäre die Orgel der Hamburger Katharinenkirche) einspielen – oft ist das (absolut richtige) Instrument der beste Lehrer …
Venturini macht seine Sache ansonsten recht ordentlich, er ist ein „informierter“ Interpret, der überzeugend zu artikulieren, zu „sprechen“ vermag. Zum Kennenlernen des Weckmann’schen Orgelwerks ist die Einspielung jedenfalls zu empfehlen, für „Connaisseurs“ gelten die oben angeführten Einschränkungen.
Christian Brembeck