Erich Saxer Druckenmüller
Complete Organ Music
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Das auf der vorliegenden CD eingespielte Repertoire beleuchtet ein bislang relativ wenig beachtetes Kapitel des Hanseatischen Orgelbarock: die unmittelbar post-Buxtehudische Ära. Daniel Erich beschreitet bei seinen Choralbearbeitungen mit Ausnahme von Es ist das Heil uns kommen her gegenüber dem Großmeister kaum neue Wege. Dagegen folgen die norddeutsch geschulten Organisten Georg Wilhelm Dietrich Saxer und Christoph Wolfgang Druckenmüller ähnlich wie Georg Dietrich Leyding der italienischen Concerto-Grosso-Tradition: Stilistisch setzen sie auf am Violinspiel orientierte Solopassagen und Kadenzen mit Dreiklangsharmonik; das vielteilige norddeutsche Praeludium entwickelt sich wie bei Vincent Lübeck und Georg Böhm in Richtung einer bipolaren Satzanlage mit einer Monumentalfuge statt mehrerer Canzonetten-Fugen und mit einem Toccatenschluss. Die Praeludien Saxers dagegen sind groß angelegte, dramatische und spieltechnisch anspruchsvolle Werke.
Substanziell begegnet der Zuhörer dieses Repertoires insgesamt einem vorwiegend (weitgehend) belanglosen virtuosen Feuerwerk, das nichtsdestotrotz so eindrucksvoll inszeniert ist, dass man sich seiner Wirkung letztlich kaum entziehen kann. Dazu trägt auch die klanggewaltige Schnitger-Orgel von Zwolle bei, die hier einmal mehr! sehr gut klingt, aber aufgrund ihrer Restaurierungs- oder besser Umbaugeschichte nur noch wenig Patina eines echten historischen Instruments hat.
Manuel Tomadin gibt die Stücke kompetent und brillant wieder. Auch ist seine Kompetenz in Sachen Stilistik und historischer Aufführungspraxis nicht zu überhören. Dass hier unter den gegebenen Voraussetzungen in erster Linie Virtuosität, differenzierte Organo-Pleno-Klänge und Freude am Musizieren gefragt sind, versteht sich (fast) von selbst. Insoweit meistert Tomadin diese Herausforderung hervorragend, man kann sich die CD mit großem Genuss anhören. Die Höhepunkte der Einspielung sind Druckenmüllers Praeludium und Ciacona in D sowie sein Concerto in A; aber auch das eine oder andere Praeludium Saxers wirkt apart.
Sucht man nach dem Profil des Interpreten Manuel Tomadin, wird es merklich uneindeutiger. Die herbe Melancholie von Erichs Choralvorspiel Allein zu dir, Herr Jesu Christ will gar nicht erst aufkommen. Die langsamen Sätze der Druckenmüllerschen Concerti werden durchweg ausdrucksvoll vorgetragen, doch daneben stehen in anderen Zusammenhängen nicht ausgespielte Vor- und Nach-Apostrophierungen oder verschenkte Möglichkeiten, Final-Floskeln aufzubauen und entsprechend wirkungsvoll auszuführen. Insgesamt gewinnen so Virtuosität und aufführungspraktisches Können die Oberhand über rhetorisches Gestalten. Die Aufnahme empfiehlt sich insgesamt als hörenswert!
Wolfram Syré