Ritter, August Gottfried

Complete Organ Music

Verlag/Label: 2 CDs, Brilliant Classics 94846 (1014)
erschienen in: organ 2015/01 , Seite 57

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August Gottfried Ritter (1811–85) ist Orgelmusikliebhabern heutzu­tage kaum ein Begriff; allenfalls kennt man seine 3. Orgelsonate in a-Moll op. 23. Wie unbegründet diese Nichtbeachtung ist, beweist eine Gesamteinspielung sämtlicher überlieferter Orgelwerke aus der Feder des seinerzeit hoch gerühmten Magdeburger Domorganisten, die der junge italienische Organist Massimo Gabba eingespielt hat. Gabbas Instrument ist die 2013 unter Verwendung älteren Materials von Piero Sandri neu erbaute Orgel der Wallfahrtskirche zu Aprica in Italien. 
August Gottfried Ritter war zu seinen Lebzeiten vor allem als Autor mehrerer weit verbreiteter Lehrwerke berühmt; seine Ausbildung hatte der gebürtige Erfurter unter anderem bei Johann Nepomuk Hummel, Michael Gotthard Fischer und August Wilhelm Bach erfahren. 
Ritters bedeutende Orgelwerke entstanden ab 1845 in einem Zeitraum von etwa zehn Jahren und wurden von bedeutenden Verlagen wie Körner und Breitkopf & Härtel in Leipzig veröffentlicht. Neben den vier Sonaten stammen noch die Variationen über „Heil dir im Siegerkranz!“ (op. 1), mehrere Choralbearbeitungen (opp. 8, 9, 28, 29) und diverse Einzelwerke aus seiner Feder. Die Orgelsonaten sind stilis­tisch grundsätzlich den entsprechenden Werken Mendelssohns nahe und insgesamt auf der Höhe der Zeit, wobei eine Entwicklung von der 1. Sonate op. 11 (mit deutlicher Anlehnung an die Orgelmusik Bachs), über die 2. Sonate op. 19 (hier findet sich zum ersten Male eine zyk­lisch durchkomponierte, frei gehandhabte Form der Sonate) bis hin zur 3. Sonate (seinem bedeutends­ten und umfangreichsten Werk, Franz Liszt gewidmet) zu beobachten ist. Die folgende 4. Sonate op. 31 (zweisätzig angelegt) erweist sich dann wieder als ein eher traditionelles Werk. 
Die Einspielung des jungen Tries­ter Orgelprofessors nimmt durchaus schnell für sich ein: Massimo Gabba spielt mit gelassener romantischer Geste, große Steigerungen klug disponierend sowie weit gezogene musikalische Linien sensibel und spannungsvoll erfüllend. Er weiß die Klangfarben seiner Orgel gut zu dosieren, stilis­tisch tadellos zu kombinieren und äußerst farbig einzusetzen. Die zeitgenössische ita­lienische „Organisten-Szene“ hat meines Erachtens den Vorzug, durch keinerlei einengende Traditionen belastet zu sein – entsprechend weniger kompliziert scheint der Umgang mit scheinbar völlig Vertrautem, umso unverstellter mancher neue Blick auf dieses zu sein. In diesem Zusammenhang „traut“ sich Gabba auch die von Ritter grundsätzlich vorgegebenen Registrieranweisungen an der einen oder anderen Stelle im Sinne einer besseren Durchhörbarkeit zu modifizieren, indem er beispielsweise Themen auch in dichtem musikalischen Satz durch Manualwechsel besonders hervorhebt. Die Orgel klingt trotz eher neobarocker Disposition jederzeit dunkel sinfonisch und zu gegebener Zeit auch mächtig genug. Die sehr räumliche Aufnahme unterstützt diesen Eindruck auf angenehme Weise – eine Einspielung, die ich gerne empfehle! 
 
Christian Brembeck