Gabrieli, Andrea (1532/33-85)
Complete Keyboard Music
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Von den beiden Gabrielis ist Giovanni wohl der Bekanntere, schon allein deshalb, da sein hohes Ansehen damals noch heller über Venedig hinaus gestrahlt hat und er zum Lehrmeister auch für viele ausländische Musiker geworden war, die hier ihr kompositorisches Rüstzeug erwarben. So etwa Heinrich Schütz, der von 1609 bis kurz nach Giovannis Tod (1612) dort drei Jahre verbracht hat. Giovanni war es auch, der die bis dahin unveröffentlichte Orgelmusik seines Onkels und Lehrers Andrea nach dessen Tod im Jahr 1585 in den Folgejahren in Druck gegeben hat. Beide Gabrielis wirkten nach vorherigen anderen Positionen schließlich als Organisten am Markusdom in Venedig, wo sie, Andrea wie Giovanni, die mehrchörige Kirchenmusik weiter entwickelt und zu größter Prachtentfaltung gebracht haben. Doch die Orgelmusik spielte deshalb keine untergeordnete Rolle: Jetzt hat der italienische Organist Roberto Loreggian das gesamte Konvolut der Tastenmusik Andrea Gabrielis auf sechs CDs vorgelegt.
Hierbei handelt es sich einmal um Intonationi, gleichsam freie Improvisationen mit virtuoser, akkordisch gestützter Melodiestimme, zum anderen um auskomponierte und einem streng gehandhabten Kontrapunkt unterworfene Ricercari, doch es finden sich unter der Orgel- und Tastenmusik Andrea Gabrielis auch Mischformen wie die Toccate, die improvisatorische Virtuosität und Imitationsformen abschnittsweise in Einklang bringen, und es zählen zu den hinterlassenen Werken Andrea Gabrielis auch drei Orgelmessen und eine nicht geringe Zahl an Intavolierungen von Canzonen und Madrigalen. Diese vielfältigen Formen beweisen die enorme musikalische Bandbreite des Komponisten. Allen diesen Werken gemein ist ein vergleichsweise hoher virtuoser Anspruch, da Gabrieli zumeist eine der Stimmen mit einer geradewegs überbordenden Verzierungstechnik heraushebt. Besonders zum Tragen kommt dies naturgemäß in den weniger streng gearbeiteten Stücken; die komplex strukturierten Ricercari erweisen sich hiervon nicht ganz so überzeichnet.
An diese kontrapunktische Architektur geht Roberto Loreggian mit Ernst und Bedächtigkeit heran, und er versteht dabei immer, die gesamte Anlage des Stücks im Auge zu behalten und nicht nur vom Augenblick her das spielerische Element herauszustreichen. Ohne jede Übererregung zeigen sich hier auch die kolorierten Stimmen in den Gesamtverbund der Stimmen gleichsam passgenau eingebunden. Doch auch in den freieren Formen weiß Loreggian deren kunstvoll gearbeitete enorme Bewegungsenergie der Kolorierung relativ planerisch anzugehen und das quasi frei improvisierte Movens zugunsten einer ordnenden Überschaubarkeit etwas zurückzudrängen.
Loreggian wählt auf der kürzlich gewissenhaft restaurierten Orgel im Dom von Valvasone, dem einzigen erhaltenen venezianischen Instrument aus dem 16. Jahrhundert, Registerfarben, die eine abwechslungsreiche Fülle bringen. In Gabrielis Orgelmessen wird er unterstützt durch die Schola Gregoriana Scriptoria, die allerdings recht uncharakteristisch und kraftlos agiert.
Thomas Bopp