Francis Pott

Christus

Tom Winpenny an den Orgeln der Kathedrale und der Abteikirche St. Alban in Hertfordshire (UK)

Verlag/Label: Naxos 8-574252-53 (2021)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2021/04 , Seite 62

Bewertung: 4 von 5 Orgelpfeifen

Der Komponist, Pianist und Universitätsdozent Francis Pott, geboren 1957, ist in seiner Heimat, dem Vereinigten Königreich, eine echte Größe. Hierzulande ist er weniger bekannt, aber da sich (vor allem) die Labels Naxos und Signum Classics sehr für ihn stark machen, ist Pott auf Tonträgern gut vertreten. Seine Karriere begann er als Chorsänger; Sakralwerke, vor allem für Chor und Orgel, bilden bis heute den Schwerpunkt seines vielfältigen musikalischen Schaffens.
Die von Pott selbst so bezeichnete „Passion Symphony for Organ“ mit ihrem ebenso schlichten wie ikonischen Titel Christus komponierte er in den Jahren 1986 bis 1990. Mit seinen fünf Sätzen („I. Logos“, „II. Gethsemane“, „III. Passacaglia“, „IV. Viaticum“, „V. Resurrectio“) und seiner Aufführungsdauer von mehr als zwei Stunden ist Christus ein Werk der Superlative – zumindest, was die äußerlichen Dimensionen und den hohen, wenn nicht höchs­ten inneren sakralen Anspruch dieser Mammut-„Symphony“ betrifft.
Christus, so erklärt es Pott gleich zu Beginn des Booklettextes, habe weniger mit der französischen Orgelsinfonie-Tradition im Sinn, sondern speise sich vielmehr aus dem Interesse an motivischer Einheit und einer sich entwickelnden Tonalität nach dem Vorbild des dänischen Komponisten Carl Nielsen. Bestimmte harmonische Gewohnheiten von Christus bezögen sich speziell auf Nielsens 4. und 5. Sinfonie. Man kann dem beipflichten. Den Rezensenten erinnert dieser Christus aber noch viel mehr an
einen anderen dänischen Kompo­nis­ten, dessen Name vom Verfasser des Booklettextes entweder vergessen oder verschwiegen wurde: Rued Langgaard (1893–1952). Dessen zwischen 1932 und 1952 entstandene Orgelkomposition Messis (Høs­tens Tid) – Drama for orgel i tre aftener konvergiert sowohl hinsichtlich ihrer schieren Länge als auch ihres hohen messianischen Anspruchs we­gen weitaus mehr mit dem „Meis­ter aus Ribe“ als mit Carl Nielsen, der mit dem Thema Religion ohnehin nicht so viel am Hut hatte.
Der ebenfalls aus dem UK stammende Tom Winpenny, ein „Haus-Organist“ von Naxos, der sich immer wieder für die Orgelmusik unserer Zeit stark macht, legt sich auch für Potts Christus mächtig in Zeug. Die 1962 von Harrison & Harrison gebaute, 2007 bis 2009 von derselben Firma grundrestaurierte Orgel der St. Albans Cathedral (Hertfordshire) mit ihren 64 Registern leistet ihm dabei hervorragende Dienste. Den fünf Sätzen liegen Texte aus verschiedenen Quellen – von der Bibel bis Dylan Thomas – zugrunde, die Pott mit seiner auf Verständlichkeit zielenden Musik gleichsam fortspinnt.
Man kann nun trefflich darüber streiten, ob Christus genügend Substanz hat, um den Spannungsbogen zwei Stunden lang aufrechtzuerhalten oder nicht doch, vor allem in den mehr als 30 Minuten dauernden Ecksätzen, einige Längen aufweist. Im ersten eher ruhigen und meditativen „Logos“-Satz kann man diese noch gut wegstecken. Schwierig wird es bei der finalen „Resurrectio“: Diese mehr als 38 Minuten lange Toccata präsentiert trotz oder gerade wegen ihrer enervierenden Dauervirtuosität einen derart affirmativ und plakativ gezeichneten „Auferstandenen“, dass die Grenze zwischen Pathos und Karikatur zu verschwimmen beginnt. Immerhin, und das sei der Musik zugutegehalten, kann Tom Winpenny die Harrison & Harrison-Orgel einmal nach Herzenslust „ausfahren“. Und dies ist dann bei allen Vorbehalten, die man gegen die Musik vorbringen kann, ein Fest für die Ohren.
Zum Schluss noch ein Wort zu den übrigen Stücken des Doppel-albums: So gut vor allem die beiden letzten beiden Werke der zweiten CD Schmücke dich, o liebe Seele (2013) und Surrexit Hodie – Fantasia-Toccata sopra ‚O Filii et Filiae‘ (2019) auch sind: sie wirken doch wie Füllmaterial, um den beiden Disks eine entsprechende Spielzeit zu verschaffen. Und die Improvisation on Adeste, Fideles (2005), mit der Disk 1 beginnt, braucht man als Ouvertüre für Potts fünfaktiges Orgeldrama auch nicht wirklich. Schade, dass Christus nicht auf eine einzige CD passt. Das Hörabenteuer wäre noch größer, wenn man dieses Riesen-Opus ohne Silberscheiben-Wechsel nach der Passacaglia am Stück hören könnte.

Burkhard Schäfer