Choraltrios für Orgel
Im Auftrag der Evangelischen Kirche im Rheinland hg. von Ulrich Cyganek
Auch wenn im Wikipedia-Artikel „Trio (Musik)“ die „barocke Triosonate“ kurz erwähnt wird, so gibt er keinerlei erhellende Erklärung darüber, was in den beiden vorliegenden Notenausgaben an Musik („Trios“) angeboten werden könnte. Tatsächlich ist dieser spezielle Trio-Begriff nur im Bereich der Orgelmusik dadurch vorstellbar, dass eine einzelne Person auf drei verschiedenen Orgelwerken (zwei Manuale und Pedal) allein ein dreistimmiges klanglich ausdifferenziertes Musikstück darbieten kann.
Mit den beiden Bänden ist dem Herausgeber Ulrich Cyganek ein großer Wurf gelungen, der das Gebiet „Trio“ weiträumig durchschreitet. Einerseits versteht er Trio im engeren Sinn als einen dreistimmigen Satz, andererseits als das, was Organisten als „triomäßig“ bezeichnen, das gleichzeitige (nicht immer nur dreistimmige) Spiel auf zwei Manualen und Pedal.
Beide Bände sind für „die Anfangsphase der Orgelausbildung“ gedacht, denn, so Cyganek, das „Trio-Spiel auf der Orgel gehört seit jeher zu den Grundlagen des Orgelspiels“. So sollen die Sätze als Beispiele dienen, um „musikalische Ausdrucksmöglichkeiten mit ‚nur‘ drei Stimmen“ kennenzulernen und zur „‚spielerischen‘ Inspiration für eigene Schöpfungen in diesem Genre“ anzuregen. Letztlich sind sie aber so angelegt, dass sie auch die „musikalische Gottesdienstgestaltung“ bereichern können.
In den 55 Choraltrios wird genau das Lied-Repertoire angeboten, das ein Organist immer wieder benötigt – quasi ein Grundbestand an Liedern, die häufig gesungen werden. Zu jedem der Lieder gibt es mindestens eine Intonation und einen Begleitsatz. Die Klanglichkeit der Sätze ist weitestgehend brav harmonisch. Nicht alle Sätze werden in der Tonart des Evangelischen Gesangbuchs angeboten.
Die grundlegendste Form der Begleitsätze bietet eine einfache Dreistimmigkeit (jede Hand eine Stimme, eine Stimme im Pedal), die durchaus auch auf einem Manual und Pedal dargestellt werden kann. Alle anderen Satztypen sind triomäßig zu verstehen. Der cantus firmus liegt in den meisten Sätzen im Sopran; er kann aber auch in den anderen Stimmen erscheinen, gar wie in EG 516 durch alle Stimmen wandern. Dieser lichte Satztyp ist für die Gemeinde durch die klare Linienführung des cantus firmus gesanglich sehr angenehm und hilfreich.
Die Mittelstimme kann in der Alt- oder Tenorlage geführt werden, gelegentlich auch ein 2. Sopran sein. Dadurch ergeben sich vielfältige, interessante Kombinations- und Klangmöglichkeiten. Beide Nebenstimmen bieten ein weites Spektrum von einfachen Tonleiterbewegungen oder harmonischen Füllnoten bis hin zu Parallelen, motivischer Arbeit, Imitation und eigenständigen Kontrapunkten.
Cyganek sieht die Choraltrios, bei denen der „didaktische Ansatz der Stücke im Vordergrund steht“ auch als eine Edition, die „im Selbststudium“ Verwendung finden kann; dafür sind ihr Finger- und Fußsätze beigegeben. Hier liegt aber die große Schwachstelle der Edition. Der Anfänger im Orgelspiel hat erfahrungsgemäß zumeist nicht die Fähigkeiten, um Satzstrukturen und stilistische Ideen selbstständig schnell zu analysieren und die Binnenstrukturen zu verstehen.
Einige erklärende Zeilen zur Musik, zu Satztechniken, zu Registrierungsmöglichkeiten u. ä. hätten das 14-zeilige Vorwort sinnvoll ergänzt. Auch äußerst spärliche Aufführungshinweise in den Noten helfen wenig. Wenn in EG 302 die Intonation im Pedal auf einem h endet und der Begleitsatz im Notentext fünf Zentimeter daneben auf demselben Ton beginnt, zu kommentieren „Spielposition des Fußes beibehalten“, ist unnötig. Dafür ist bei den arpeggierten Akkorden in EG 147 der fehlende Hinweis darauf, was hier musikalisch gewünscht wird (Motiv oder Klang), eigentlich unerlässlich. All das schmälert aber nicht die hervorragende Edition musikalisch.
Knapp zwei Jahre später ist in den 33 Trios dieses textliche Manko vollständig und breit aufgestellt ausgeglichen. Ein ganzseitiges Vorwort des Herausgebers betrachtet und beleuchtet das Thema „Trio“ von allerlei Seiten. Dazu kommen am Ende des Notenbandes drei Seiten Erklärungen der einzelnen Komponisten, die einen kleinen Einblick in ihre Stücke geben – wunderbar und äußerst hilfreich! Braucht man die Kurzviten der Komponisten? Es mag verwundern, aber sie haben alle (!) Orgel studiert und sind hauptamtliche Kirchenmusiker in einer Gemeinde.
Die stilistische Bandbreite der überwiegend nicht cantus firmus-gebundenen 33 Trios ist groß: Rag, Samba, Blues und Dixiland begegnen dem eigentlich liturgischen Instrument. Einem 7er-Takt „wohnt ein Schwung inne, den unsere gewohnten Taktarten nicht haben“. Keck heißt ein Stück; in einem anderen wird der gelehrigen Schüler zum „Orgelüben!“ aufgefordert, wobei dort dann gefordert wird: „Diese Stelle gerne so spielen, als sähe man sie das erste Mal!“ So findet man in diesem Band neben klassisch Ernstem viel Musik, die mit einem Augenzwinkern dargestellt werden mag.
Beide Bände verdienen eine große Aufmerksamkeit, denn sie bieten reichhaltig gut einsetzbare Musik für Unterricht, Gottesdienst und Konzert. Dabei sollte sich kein alteingesessener Organist zu fein sein, zu diesen „einfachen“ Sätzen zu greifen: Sie bereichern in ihrer Klarheit und Durchhörbarkeit die Klang- und Hörerfahrungen der Gemeinden.
Ralf-Thomas Lindner