Koerppen, Alfred

Choralfantasien für Orgel

Verlag/Label: Rondeau ROP6081 (2013)
erschienen in: organ 2014/01 , Seite 58

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Für den nach wie vor jugendfrisch-aktiven Doyen der Hannoveraner Komponistenszene war es ein bewegendes Erlebnis, seine Choralfantasien auf der 2009 fertiggestellten Goll-Orgel vom kirchenmusikalischen Hausherr Ulfert Smidt interpretiert zu hören. Die Zusammenarbeit beider musikalischer Exe­geten gestaltete sich ideal: Anhand des von konkreten Spielanweisungen weitgehend freien Originaltextes forschte der Komponist zusammen mit dem Organisten und der Tontechnik nach dem, „was des Geistes Sinn sei“. Das Ergebnis: hohe Authentizität und ein subtiles Ausloten der Klangpalette des für dieses Projekt nachgerade idealen Instruments. Alfred Koerppen geht es nach eigener Aussage um größtmögliche Subjektivität im Ausdruck, um eine spezifische Tiefen­dimen­sion quasi „religiösen Urgesteins“ zu erreichen. Dieser hat er in seinem breiten instrumentalen und vokalen Schaffen zeitlebens Raum gegeben. Die integrale Kenntnis seines Metiers bringt er nun in einen Werkcodex von ökumenisch angelegten c.-f.-Stücken der Jahre 1988 bis 2003 ein.
O Heiland, reiß die Himmel auf, ein Triptychon, quasi klingender Advents-Altar, eröffnet autobiografische Erlebnisse des „offenen Himmels“, der in Vorfreude die Weihnachtsbotschaft mit Glockenimpressionen zum c. f. vorbereitet. Der aus Wiesbaden gebürtige, in Frankfurt am Musischen Gymnasium u. a. von Kurt Thomas unterwiesene Dirigentensohn, seit 1967 ordentlicher Kompositionsprofessor an Hannovers staatlicher Musikhochschule, beschwört idiomatisch und in der musikalisch-inhaltlichen Struktur die Impression der weitgehend noch kriegszerstörten Marktkirche des Jahres 1948 herauf, als er in die niedersäschsische Hauptstadt übersiedelte. Freitonale, auch aleatorische und Clustertechniken einbeziehende Avantgarde in Verbindung mit immer wieder aufhellender, einfacher liturgisch-choralbezogener Satztechnik sowie meditative Interludien stimmen hier zusammen wie in den nachfolgenden zehn Werken, die quasi einen Gang durchs Kirchenjahr nachzeichnen: Lobt Gott, ihr Christen allzugleich (kontrastreiche Ambivalenz der Registermischungen mit Weihnachtsidylle) / O Lamm Gottes, unschuldig / O Traurigkeit – O Lamm Gottes, unschuldig (eine eindrucksvoll-großangelegte Passacaglia) / Jesus Christus, unser Heiland / Lasst uns erfreuen herzlich sehr – Freu dich, du Himmelskönigin (altbayerische Marienlieder) / Gen Himmel aufgefahren ist (zweiteilige Partita) / Komm, Heiliger Geist, Herre Gott (sich über bizarre Klangkaskaden zum hymnischen Finale steigernd) / Der du bist drei in Einigkeit (metrisch aufgelockerter Proportionskanon in quasi mittelalterlicher Technik) / Nun singt dem Herrn ein neues Lied (Koerppen-Idiomatik: Terz-Sekund-Klänge mit Sforzato-Einwürfen) / Der Tag ist hin (durch Bach inspirierte Stille-Impression mit fugierten, tageslauf-bezogenen „Un­ruhe-Par­tien“). Das sind für die organis­tische Praxis wie Hörerschaft gleichermaßen befruchtende Werke, die an Spielfreude, instrumentengerechter Faktur und anregendem Klangerlebnis ihren aktuellen Reiz unter Beweis stellen, realisiert in brillant-natürlicher Aufnahmetechnik, mit instruktivem Booklet ausgestattet.

Wolf Kalipp