Scheidemann

Choralfantasien für Orgel (Urtextausgabe)

hg. von Pieter Dirksen

Verlag/Label: Breitkopf & Härtel, EB 8938
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2023/01 , Seite 57

Der promovierte Cembalist, Musikwissenschaftler und Organist Pieter Dirksen hat zahlreiche Studien über die Musik des 17. Jahrhunderts und über Johann Sebastian Bach veröffentlicht und verbindet seine künstlerische Tätigkeit mit einem profunden Quellenstudium.
Diese enge Verzahnung ist auch bei seiner 2022 erschienenen zweisprachigen Neuedition der Choralfantasien von Heinrich Scheidemann (ca. 1595–1663) insbesondere im knapp gehaltenen Vorwort und lesefreundlich angelegten kritischen Bericht spürbar. Dirksen geht im Vorwort gleich in medias res und würdigt Scheidemanns herausragende Bedeutung für die auf Sweelinck basierenden norddeutschen Choralfantasien, von denen hier sechs eindeutig autorisierte und drei weitere Scheidemann stilistisch zuschreibbare Choralfantasien über lutherische Choräle nach den verschiedenen Entstehungsphasen gruppiert sind. Für drei Zeitabschnitte stellt Dirksen die relevanten Primärquellen dar und beschreibt die kompositorische Struktur mit ihren Innovationen, unter denen Echo-Effekte eine besondere Bedeutung haben.
Leider setzt Dirksen die vollständige Kenntnis von Scheidemanns Biografie als bekannt voraus und lässt auch zahlreiche in dessen Dienstzeit an der Hamburger Katharinen-Orgel erfolgte Umbauten der Orgel von 1543 durch Gottfried Fritzsche (Einbau von Semitionien dis/es in den Manualen und eines Brustwerks) sowie weiteren Umbauten durch Friedrich Stellwagen unerwähnt. Dirksens wertvolle Hinweise zur Aufführungs- und Registrierpraxis hätten sehr an Nachvollziehbarkeit gewonnen, wenn auch die Disposition zur Amtszeit Scheidemanns mit den Disposi­tions­abänderungen der mittlerweile durch Flentrop rekonstruierten Katharinen-Orgel beigefügt worden wäre.
Sämtliche Choralfantasien waren in den Quellen in norddeutscher Buchstabentabulatur enthalten (vgl. das beigefügte Faksimile aus der Lüneburger Ratsbücherei zu Lobe den Herren, denn er ist sehr freundlich) und wurden beim Übertragen sparsam mit Pausen, gestrichelten Haltebögen und vereinheitlichter moderner Akzidentiensetzung ergänzt. Im Anhang hat der Herausgeber dann auch noch dankenswerterweise eine taktbasierte Zuordnung der Choraltexte beigefügt. Allerdings hätte nichts dagegen gesprochen, die in der Quelle überlieferten Textincipits in Ein feste Burg im Notentext unbeschadet ihrer Unvollständigkeit einzufügen. Im grafisch außerordentlich übersichtlich gestalteten Notendruckbild sind unregelmäßige Balkierungen der Tabulaturvorlage beibehalten und Striche zur Verdeutlichung der Stimmführung konsequent verwendet worden. Es ist sicher kein Zufall, dass an besonders vielen Seitenenden pausierende Stimmen ein eigenhändiges Umblättern ermöglichen. Bei den zahlreichen notierten Angaben zur Manualverteilung und zu Echostellen wurden Schreibvarianten auf R und O vereinheitlicht. Auf das begleitende Studium des kritischen Berichts sei ausdrücklich hingewiesen, da damit in einigen Einzelfällen auch anderen Notentextvarianten der Vorzug gegeben werden könnte.

Josef Miltschitzky