Cameron Carpenter Revolutionary
Stücke von J. S. Bach, Frédéric Chopin, Franz Liszt, Georges Bizet, Marcel Dupré, Jeanne Demessieux, Duke Ellington und Cameron Carpenter
1 von 5 Pfeifen
Hier ist alles pure Selbstdarstellung: die Wahl des Instruments (eine elektronische Riesenorgel ohne Pfeifen), der Stücke (Transkriptionen und Bearbeitungen populärer und virtuoser Werke, eigene Kompositionen), der auf sinnfreie Effekthascherei ausgerichtete Interpretationsstil und nicht zuletzt das ausschließlich englischsprachige Booklet, das den 1981 geborenen jungen Künstler zum Popstar der Orgel stilisiert, dessen synthetisch erzeugter Ruhm von den USA nun offensichtlich auch ins alte Europa herüberschwappt.
Was man anerkennen muss: Hier setzt ein auf seine Art kompromissloser Musiker einen (mit gesampelten Orgelklängen gefütterten) Synthesizer mit unkonventionell-erfrischender Vitalität in Szene, allerdings fast völlig frei von kirchenmusikalischen Prägungen nur J. S. Bachs hier ziemlich lieblos interpretierter Leipziger Choral Nun komm der Heiden Heiland lässt noch einen vagen Bezug zu alten europäischen Orgeltraditionen assoziieren.
Doch lassen sich die unnatürlichen Klänge und die selbstverliebte Attitüde des Spielers in ihrer unveränderlich-monotonen Aufdringlichkeit kaum auf die gesamte Strecke von 64 1/2 Minuten Spieldauer aushalten. Selbst wenn man die unermüdliche Power und offensichtliche Bühnenpräsenz dieses Tasten-Dompteurs anerkennt aufgrund der klanglichen und emotionalen Oberflächlichkeit bleibt diese Art der Musikdarstellung ein skurriles Kuriosum, das man aber gerne für die eine oder andere Gelegenheit in seinem CD-Regal bereithält
Gleiches empfiehlt er auch allen OrganistInnen, die bereit sind, sich hin und wieder von diesem aufstrebenden Kollegen den Staub aus den virtuellen Orgelpfeifen wirbeln zu lassen. Dafür eignen sich schon die ersten Stücke dieser CD: Carpenter spielt auf seiner Orgel mit Verve die berühmte Revolutionsetüde (Revolutionary) von Frédéric Chopin (original für Klavier, Nr. 12 aus op. 10) und gleich danach seine recht eigenwillige Interpretation der J. S. Bach zugeschriebenen berüchtigten Toccata und Fuge d-Moll (BWV 565) unter dem Label Evolutionary. Es folgt der (von Carpenter arrengierte) Evergreen Solitude von Duke Ellington, und dann wieder ein Pfeifenorgelstück: Octaves aus Six Études von Jeanne Demessieux. Wirklich erstaunlich ist die Transkription des Mephisto-Walzers Nr. 1 von Liszt, eher seicht und gewöhnlich dagegen Carpenters Love Song Nr. 1. Für Marcel Duprés Prelude and Fugue in B Major op. 7.1 wünschte man sich doch dringend eine echte Orgel in einem Raum, der die Carillon-Effekte akustisch unterstützt; die Adaption von Chopins Étude in C Major op. 10 Nr. 1 (mit begleitenden, sanft ausgehaltenen Akkorden im Hintergrund anstelle des Klavierpedal-Effekts) überzeugt dagegen am Ende. Die Carpenter-Bearbeitung der Bearbeitung (Variationen für Klavier von Vladimir Horowitz) von Bizets Carmen ist in ihrer motorisch zur Schau gestellten Virtuosität durchaus beeindruckend, aber gleichzeitig auch in ihrer penetranten Nervosität unpassend und überflüssig. Ähnliches gilt für Carpenters Homage to Klaus Kinski.
Torsten Laux