Calvaire

Christoph Keggenhoff an den Orgeln im Kaiserdom zu Speyer

Verlag/Label: organum classics OGM 181037 (2018)
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2020/01 , Seite 62

Bewertung: 5 von 5 Pfeifen!

Orgelporträts sind keine unproblematische Tonträgergattung: Schnell gerät der Wille, das Instrument in all seinen Facetten zu präsentieren, in eine programmatische Sackgasse – und dies gilt nicht zuletzt für die Präsentation von großen Kathedral­instrumenten, deren eigene Vielfalt einer Vielfalt auf dem Tonträger entsprechen soll und oft genug mit eher einfältigen Programmen einhergeht.
Die CD Calvaire ist wohlgemerkt kein Orgelporträt: Unter dem Untertitel „Resignation und Hoffnung“ versammelt der Zweite Domorganist am Kaiserdom zu Speyer, Chris­toph Keggenhoff, Kompositionen von César Franck bis zu Bjarne Hersbo, und zwar unter dem Dach eines programmatischen Konzepts: Das Gehen eines Weges – Cal­vaire, „Kalvarienberg“ als Weg zur Auf­erstehung und Erlösung – ist als Formkonzept der Einspielung omnipräsent. Zwei programmatische Kompositionen, die sich auf Calvaire als Ort der Passion auch im Titel beziehen, stehen dabei im Fokus: Das üppige Orgel-Tryptichon Le Calvaire à Chitry-les-Mines des 1944 geborenen dänischen Komponisten Bjarne Hersbo überzeugt durch Transparenz und Vielschichtigkeit, während das „Postludium“ aus Helmut Vogels 1993 uraufgeführtem Oratorium Mysterium Fidei durch seine Klanglichkeit und Konsequenz fasziniert.
Christoph Keggenhoff als kongenialer Interpret überzeugt sowohl bei der Vermittlung der Kompositionen jüngeren Datums als auch mit dem Repertoire des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, so mit dem Grand chœur dialogué Eugène Gigouts, der die Aufnahme leuchtend eröffnet, als auch mit dem
h-Moll-Choral Francks oder dem abschließenden Paar Introduktion und Passacaglia f-Moll von Reger: Das Gehen eines Wegs verbindet die Kompositionen der Aufnahme als roter Faden, von der Pavane über die Chaconne hin zur Passacaglia. Als überzeugende Miniaturen beigegeben sind der CD sowohl die handwerklich hervorragend funktionierende Bearbeitung Keggenhoffs der berühmten Pavane pour une Infante défunte Ravels als auch Ligetis Ricercare für Orgel über ein „verbogenes“ Thema Frescobaldis.
Der Aufnahme kommt die große Bandbreite der Instrumente entgegen: Keggenhoff vermag alle Kompositionen auf den beiden Seifert-Orgeln so behutsam wie zupackend zu interpretieren. Dabei glänzt die Hauptorgel (IV/83 von 2011) durch ihre Fülle und Strahlkraft, die Orgel auf dem Königschor (II/33/5 von 2008) durch die Delikatesse ihrer Register. Beide Orgeln sind bemerkenswert präsent und sehr detailreich eingefangen – damit gerät die hörfreundlich strukturierte und zugleich hervorragend interpretierte wie disponierte CD letztlich doch zu einem Orgelporträt, allerdings auf der Basis einer wohlüberlegten Konzeption, die vorbildgebend werden sollte für Porträtaufnahmen wie für Kompilationen ähnlicher Art.
Neben dem informativen Einführungstext Lothar Heinles ist ein weiterer Aspekt sehr positiv hervorzuheben: Eindrucksvolle Bilder von Dominik Keggenhoff machen diesen Tonträger auch zu einem Bildträger eigener Art: Sie öffnen den Blick für das Wesentliche.

Birger Petersen