Buxtehude-Studien, Band 1

hg. im Auftrag der Internatio­nalen Dieterich-Buxtehude-Gesellschaft von Matthias Schneider unter Mitarbeit von Jürgen Heering

Verlag/Label: Dr. J. Butz, Bonn 2015, 164 Seiten, 23 Euro
erschienen in: organ 2016/04 , Seite 60

Endlich! Ja, endlich erhält auch der wichtigste Vertreter des hanseatischen Orgelbarock, Dieterich Buxtehude, ein angemessenes forschungsbezogenes publizistisches Forum: 2015 erschien bei Butz der erste Band der Buxtehude-Studien, die im Auftrag der Buxtehude-Gesellschaft (IDBG) publiziert werden. Er enthält Beiträge von der Jahrestagung 2011 der IDBG, aus der Buxtehude-Konferenz von 2007 sowie kleinere Einzelbeiträge, mithin also eine Reihe ältere Beiträge, die teilweise schon im Druck vorlagen. Dennoch ist es für den Buxtehude-Freund lohnend, diesen Sammelband zu besitzen, denn nicht alle der hier versammelten Aufsätze sind heute ohne Mühen zu besorgen.
Die Studien beginnen mit einem musikwissenschaftlichen Text von Ton Koopman über „Johann Gottfried Walther (1684-1748) – ein wichtiges und zuverlässiges Glied in der Überlieferung der Tastenmusik von Dieterich Buxtehude“. Wie der Titel verrät, vertritt Koopman die These, dass die Abschriften Walthers von Buxtehudischen Orgelwerken (die sogenannte Frankenberger’sche Handschrift, eine Sammlung von choralgebundenen Werken) sehr zuverlässig sind hinsichtlich der Verzierungen – eines der Probleme der Interpretation. Mehrere seiner Vorlagen bezog Walther von Andreas Werckmeister, also aus dem unmittelbaren Personenkreis um Buxtehude. Bis hierin vermag der Leser Koopman durchaus zu folgen; auch seine Interpretationen hinsichtlich BuxWV 213 bis 215 („Nun lob mein Seel’“) sind von einigem Nutzen. Bei genauerer Prüfung seiner Argumentation, ob und welche Verzierungen in den Werken Buxtehudes anzuwenden sind, wird die Begründung doch recht flach: So erfahren wir lediglich sehr vage, dass Verzierungen zur „,normalen‘ Musizierpraxis“ hinzugehören (ohne Angabe konkreter Belege). Auch die Erwähnung einer Quelle aus dem Bach’schen Umfeld (Scheibes Kritik an Bachs Methode, alle Verzierungen auszuschreiben) kann als Beweis nicht überzeugen: Ist denn eine Ausnahme­erscheinung, wie sie Bach zweifelsohne war, beispielhaft für das allgemeine Prob­lem der Verzierungen in der Barock­zeit? Hier kommt nun der Praktiker Koopman zu Wort, denn er erörtert nicht das Problem, das er offensichtlich nur angerissen haben wollte, sondern stellt lapidar fest: „Das Ohr bestimme die Regel, nicht umgekehrt.“ Doch wie auch immer man Koopman bewerten möchte: Als Interpret ist er stets interessant und inspirierend, als Musikwissenschaftler könnte er durchaus methodisch gründlicher arbeiten; denn auch er vermag hier das Grundproblem kaum zu lösen, wie sich die Walther’schen Abschriften mit ihren Verzierungen grundsätzlich zu den übrigen Quellen und dem Feh­len von Verzierungen konsistent verhalten.
Matthias Schneider geht unter dem Titel „Raum-Klang – Klang-Räume“ der schwierigen Frage nach, wie die Pausen in den Orgelwerken Buxtehudes zu bewerten und zu spielen sind. Nach einer grundsätzlichen Betrachtung und Erläuterung einer „pausa scripta“ und einer „pausa non scripta“, die schon an sich lesenswert ist, werden Beispiele von Buxtehudischen Wer­ken angeführt, wo die nicht schriftlich fixierte Pause eine Rolle spielen könnte und wo ein Interpret den akustischen Verhältnissen eines Raumes mit einer „pausa non definita“ Rechnung tragen kann. Insgesamt hat sich Schneider eines dringlichen Themas angenommen, denn er macht den Interpreten durchaus Mut für einen freien Umgang mit den Takt.
Ulf Wellner bespricht in seinem Beitrag „Klingende Bilder – Konzept eines Konzerts“ die Zusammenstellung von Musikwerken zu den „geistreichen Musikminiaturen“, die wir – häufig unbeobachtet – in Drucken der Werke von Schütz, Praetorius u. a. finden. Es würde den Umfang einer Rezension sprengen, über einzelne Entscheidungen zu referieren. Wellner zeigt, auf welchen Grundlagen höchst interessante Programme erstellt werden können.
Weitere- Beiträge von Christoph Wolff, der über „Passaggio und Finale in den Orgelwerken Dieterich Buxtehudes“ und bei J. S. Bach schreibt, und Albert Clement mit seinen Einlassungen zur Choralfantasie über den Choral „Nun freut euch lieben Christen g’mein“ von Buxtehude runden den Sammelband ab. Kürzere Beiträge, die dann noch folgen, widmen sich der Erörterung von Spezialfragen („Dieterich Buxtehude und seine schwedischen Verbindungen“; „Faszination Schnitger-Orgel“). Der ambitionierte Buxtehude-Interpret sollte diesen Band griffbereit in seiner Bibliothek haben.

Volker Ellenberger