Orgelfassung von Gerd Schaller
Bruckner 9 for organ
Gerd Schaller an der Eisenbarth-Orgel der ehemaligen Zisterzienserabteikirche Ebrach
Vorweg ein Eingeständnis: Der Rezensent wird immer etwas nervös, wenn es um Orgelbearbeitungen von Bruckners Sinfonien geht. Deren oft behauptete Orgelnähe ist fragwürdig; und der daraus abgeleitete Anstoß, sie auf die Orgel zu übertragen, kann sehr lange und frustrierende Hörerfahrungen nach sich ziehen, handelt es sich doch um Musik, deren Vorbilder Beethoven und Wagner nicht viel mit der Orgel im Sinn hatten. [,,,]
Der Dirigent und Organist Gerd Schaller dagegen nimmt einen konträren Weg. Er hat seine Bearbeitung der 9. Sinfonie an der Hauptorgel der Stiftskirche Ebrach eingespielt. Hier trifft eine süddeutsch-barocke Schicht (Johann Philipp Seuffert, 1742/43) auf eine spätromantische (Steinmeyer 1901/02) und eine moderne Schicht (Eisenbarth 1984).
Schaller wählt für seine Transkription konsequenterweise orgelspezifische Klanggruppen und Kontraste, um Bruckners Formbau nachzuzeichnen; dabei zielt er eher auf klärende Gliederung als darauf, Orchesterfarben nachzuahmen. Er artikuliert gewissenhaft, wählt mäßige Tempi und reduziert Klangballungen aufs Wesentliche. Das Instrument betont mit seinem neobarock-geschärften Profil rhythmische und harmonische Härten.
Schaller beruft sich in seinem Kommentar (D/E) auf zwei Ziele: dass das Ergebnis Orgelstück sei, nicht Orchester-Nachahmung, und dass dabei die „Essenz“ der Sinfonie besonders zur Geltung käme. Nun ist auch die räumlich-tonräumliche Schichtung des Bruckner-Orchesters wesentlich für diesen sinfonischen Sonderweg. Bei Schaller führt die Reduktion des Satzes zu holzschnitthaften Härten, zur Betonung des Blockhaften gegenüber einer singenden Orchesterpolyphonie, wie Bruckners Tonsatz sie in der Neunten fordert. Deutlich wird dagegen, etwa im Scherzo, Bruckners ungehemmtes rhythmisches Toben. Nicht mit Pfeifenklängen abzubilden ist allerdings die unverwechselbare Streicher-Glutfarbe, die dem Adagio-Beginn seine Spannung verleiht. Schallers eigene Rekonstruktion des Finales, die er hier als Transkription mit anbietet, kann sich an der Stringenz der von Bruckner vollendeten Sätze nicht messen.
Damit bleibt die Frage: An wen richten sich solche Bearbeitungen? Bruckner-Jünger werden stets die Erregungsbögen des Orchesters vermissen, die Streicher- und Hornsätze, die expressiven Soli und differenzierten Ensembles. Die Freunde von Orgelaufnahmen dagegen dürfen reiches Farbenspiel, drastische Ausbrüche und ungebremste Monumentalität erwarten, von großen, berühmten oder auch – Brucknerhaus Linz – ganz neuen Instrumenten. Und das ohne die Komplexitätsgrade von Bach und Reger oder die vorgezeichneten Klangwege französischer Sinfonik. Diese Hörer dürften hier auf ihre Kosten kommen – stundenlang.
Friedrich Sprondel