Bruckner 5 for organ
Anton Bruckner: Symphonie Nr. 5 in der Bearbeitung für Orgel von Gerd Schaller. Gerd Schaller an der Eisenbarth-Orgel der ehemaligen Zisterzienserabteikirche Ebrach
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2024 begeht die Musikwelt Anton Bruckners 200. Geburtstag – und die Orgeltranskriptionen sprießen. Während Hansjörg Albrecht (Oehms) sich auf die Neunte zuarbeitet, wählt Dirigent und Organist Gerd Schaller Sinfonien aus, von denen er meint, sie eigneten sich besonders für eine Orgelbearbeitung. Schon 2021 hat er seine Bearbeitung der 9. Sinfonie vorgelegt (siehe organ 4/2021), nun lässt er die Fünfte folgen.
Eingespielt hat Schaller sie erneut an der Eisenbarth-Orgel der Klosterkirche Ebrach, 1984 erbaut als Rekonstruktion der barocken Seuffert-Festorgel, ergänzt um ein romantisch-sinfonisches Schwellwerk mit Anteilen von Steinmeyer (1904) und ein modernes Bombardwerk. Das kräftig konturierte Instrument wurde von Tonmeister Lutz Wildner hervorragend aufgenommen: klar, detailfreudig und mit plastischer Klangwucht, gleichzeitig mit gerade dem richtigen Maß an Räumlichkeit für Monumentalität. So entsteht nebenbei ein fesselndes Orgelporträt.
Die gleichsam modular aufgebaute Orgel – ihre Zungenregister etwa sind, mit Ausnahme der Pedalposaune, auf Schwell- und Bombardwerk vereint – unterstreicht Schallers Übertragungsansatz: die Hauptzüge der Partitur und ihrer Formblöcke in orgelgemäßen Satz zu übertragen. Bei dieser komplexesten aller Bruckner-Sinfonien wirkt das in Schallers geradliniger Spielweise plausibel, bei aller Reduktion. Schaller registriert eher großflächig, er scheint den Ebracher Klangmodulen gerne ihre Eigenheit zu lassen: den Grundstimmen von Hauptwerk oder Positiv, den Streichern oder Zungen des Schwellwerks, den Horizontaltrompeten des Bombardwerks gewissermaßen als schweres Blech. Mischensembles strebt Schaller selten an, orchestrale Wirkungen wie ein Demi-Grand-Chœur meidet er. Der Koloss erscheint gebändigt und wohlgegliedert; Detail und Großform geraten in ein geordnetes Verhältnis wie in klassizistischer Tempelarchitektur.
Doch antike Tempel waren einmal Farbwunder, ihre weiß strahlenden Nachahmungen romantisches Fremdbild. Ähnlich stark ist das Maß an Interpretation, das Schaller anlegt. Seine zügigen Tempi vereinheitlichen das Stück zu einer gewaltigen Formstrecke; die eindrucksvolle Tempodisziplin suggeriert Beherrschtheit. Umfassende Kontrolle des Satzes ist ein Zug von Bruckners Musik. Aber er überantwortet seine Partitur dem Orchester, bei dem man sich immer fragen darf: Wie ist das Solohorn heute drauf, wie fein wird die Oboe ihr Thema anstimmen? Hält der Dirigent die Posaunen im Zaum, lässt er dafür die Bratschen von der Kette? Wenn die Klarinette in die Rückschau des Finalbeginns hineinkeift, ist sie eine Agentin des Chaos, und erst der finale Choral hegt es ein. Es ist vielleicht ungerecht, wenn man Schallers Orgelversion der Fünften ankreidet, dass dieser Zug zu kurz kommt; dass die Ordnung niemals wirklich gefährdet scheint. Orgeln ordnen Klänge nun mal. Doch zu Bruckner gehört auch die Dimension des drohenden Kontrollverlusts. Auf sie muss man hier verzichten.
Friedrich Sprondel