Dvorák, Antonin / Josef Klicka

Biblische Lieder op. 99 / Sonate für Orgel fis-Moll

Verlag/Label: Rondeau ROP6044 (2011)
erschienen in: organ 2011/03 , Seite 53

4 Pfeifen

Heute weniger bekannt ist, dass Antonín Dvorák sich zu Beginn seiner Musikerkarriere an der Prager Orgelschule ausbilden ließ und danach – wenn auch zunächst vergebens – ein Organistenamt anstrebte. Im veröffentlichten „offiziellen“ Werk des Komponisten hat dies nur wenige Spuren hinterlassen. Dvo­ráks Biblische Lieder op. 99 aber werden häufig mit Orgel- statt Klavierbegleitung aufgeführt, wie dies auch auf der vorliegenden CD-Neueinspielung mit dem Bassbariton Klaus Mertens und der Organistin Susanne Rohn geschieht.
Die Aufnahmetechnik rückt die Stimme des Sängers in den Vordergrund, und das nicht zu Unrecht, denn über weite Strecken hat das Instrument nur stützende Funktion für den deklamatorischen Vortrag der von Dvorák nach der Kralitzer Bibelübertragung vertonten Psalmtexte (die hier in tschechischer Originalsprache gesungen werden). Doch beschränkt sich die Orgel nicht auf passive Klanggrundierung, sondern greift mit Signalmotiven und einzelnen Tonmalereien interpretierend ins Geschehen ein, wobei Susanne Rohn die Textausdeutung überzeugend mit Klangschattierungen und dynamischen Steigerungen unterstützt. Aus dem meist prosahaft-rezitierenden Gesangsvortrag heben sich einige wenige liedhaftere Nummern heraus: etwa „Der Herr ist mein Hirte“ und „Singet dem Herrn“, wo Gesangs- und Instrumentalpart zu innigerem Miteinander finden.
Eine tschechische Repertoire-Rarität rundet diese CD-Veröffentlichung ab: die fis-Moll-Orgelsonate von Josef Klicka, der von 1889 bis 1924 als Orgellehrer am Prager Konservatorium tätig war. Die 1917 entstandene, damals nicht publizierte Sonate Klickas galt lange Zeit als verschollen, bevor der mährische Organist Petr Rajnoha vor wenigen Jahren das Manuskript ausfindig machte und für Edition und Ersteinspielung sorgte.
Susanne Rohns Neuinterpretation des Werks kann zunächst damit punkten, dass ihr ein historisch adäquates Instrument zur Verfügung steht: die 1908 mit pneumatischer Traktur erbaute, 1993 von Förster & Nikolaus (Lich) restaurierte Wilhelm-Sauer-Orgel in der Bad Homburger Erlöserkirche. Dieses Instrument entspricht wohl weitgehend den Klangvorstellungen Klickas, die sich an der ebenfalls von der Firma Sauer errichteten Orgel des Prager Rudolfinums orientierten. Überzeugend realisiert Rohn den sinfonischen Anspruch der Komposition in den Maestoso-Rahmensätzen, wo sich spätromantische Klangsprache und barockes Formvorbild verschwistern. Dazwischen stehen eine „Toccata“, die indes eher wie ein leichtgewichtig-luftiges orchestrales Scherzo anmutet und, an zweiter Stelle, ein pastoralartiges „Andante“, bei dem die Organistin geschickt die individuellen Solostimmen ihres Instruments vorführt und ätherische Wirkungen mit dem Fernwerk der Orgel erzielt, das seinen Sphärenklang indirekt über ein Schalloch des Altarraums in den Kirchenraum schickt.
Gerhard Dietel