Antonín Dvorák
Biblische Lieder für Singstimme und Klavier op. 99 für Singstimme und Orgel
bearbeitet von Klaus Uwe Ludwig
Die tschechische Sprache mag hierzulande manchem als Böhmisches Dorf erscheinen, weist sie doch im Vergleich zum Deutschen nicht allein eine erhebliche Anhäufung von Konsonanten auf, nein, es gibt sogar reguläre Wörter, die phonetisch ohne einen einzigen Vokal auskommen. Eine Tatsache also, die in Verbindung mit Gesang auf den ersten Blick problematisch erscheinen mag. Und doch gibt es gerade in dieser traditionsreichen Kultur- und Musikregion Europas eine kaum überschaubare Überfülle an eingängigen kantablen Weisen und eine breite populäre Pflege von Melodie- (besonders Blas-) Instrumenten in Volks- und Kunstmusik wie selten anderswo, gipfelnd in dem nationalen Komponisten-Doppelgestirn Smetana und Dvorák. Der Norddeutsche Johannes Brahms sagte über Letzteren, er habe mehr Ideen als alle anderen Komponistenkollegen zusammen, so dass sich jeder andere aus seinen Abfällen noch die Hauptthemen zusammenklauben könne!
Neben den großen geistlichen Werken wie dem Stabat Mater, dem Requiem oder auch der volkstümlich anmutenden Messe D-Dur erfreuen sich die Biblischen Lieder Dvoráks (Opus 99) von jeher großer Beliebtheit. Welcher Organist oder welche Organistin musste nicht schon anlässlich einer Trauung daraus etwa den 23. Psalm intonieren? Ursprünglich in der Kombination für Stimme und Klavier geschrieben, instrumentierte Dvorák später fünf Teile davon für Orchester. Unter der Fülle von Bearbeitungen für Orgel und Gesangsstimme ragt vor allen die Bornefeld-Ausgabe von 1956 heraus. Allerdings bearbeitete Helmut Bornefeld nur sechs der insgesamt zehn Lieder, und die Registrieranweisungen entsprechen doch eher einem orgelbewegten, gewiss weniger dem (spät-)romantischen Klangideal; zudem orientiert sich die deutsche Übersetzung sprachrhythmisch nicht sehr am Original.
Insofern erscheint die Anschaffung der Biblischen Lieder in der vorliegenden Bearbeitung (Breitkopf) des Wiesbadener Kirchenmusikers und Organisten Klaus Uwe Ludwig eine lohnende Investition. Zum einen sind hier alle zehn Lieder bearbeitet worden, wobei Ludwig von spezifischen Registrierangaben von vorneherein absieht, die von Dvorák selbst intendierte Dynamik aber im Notentext berücksichtigt, so dass jeder Interpret sein Instrument individuell danach aus- bzw. einrichten kann. Zum anderen schlägt hier vor allem die näher am sprachlichen Original orientierte Übersetzung positiv zu Buche. Außerdem ist dem deutschen Text der tschechische unterlegt, so dass man stets vergleichen und sich eventuell gar ans tschechische Original wagen kann. Die im Deutschen bisweilen abweichende Silbenzahl führt zwar auch hier zu (marginalen) rhythmischen Varianten, durch das beigefügte Original kann man aber die Faktur in ihrer Urgestalt erkennen.
Klaus Uwe Ludwigs Einrichtung ist organistisch sinnvoll transformiert und liegt sprichwörtlich gut in der Hand bzw. in den Füßen, was allerdings nicht bedeutet, dass nicht die eine oder andere knifflige Stelle einiger Übung bedarf. Ursprünglich für Alt bzw. Bariton konzipiert, erschienen die Biblischen Lieder später auch in einer Ausgabe für hohe Stimme. Ludwig belässt seine Bearbeitung in den ursprünglichen Tonarten Dvoráks. Der Mühe einer eventuellen Transposition nach oben muss man sich deshalb selbst unterziehen, solange Breitkopf diesbezüglich keine Alternative anbietet. Das Notenbild ist sehr gut lesbar und übersichtlich, und auch die äußere Form präsentiert sich, wie alle jüngst erschienenen Neuausgaben der Edition Breitkopf, in optisch ansprechendem und angenehm lesbarem Gewand.
Christian von Blohn