Will Fraser

Bach and Expression

Daniel Moult, Martin Schmeding, Orgel; Christine Blanken (Bach-Archiv)

Verlag/Label: 2 DVDs, 2 CDs, Fugue State Films (2022)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2023/03 , Seite 61

Bewertung: 4 von 5 Pfeifen

Filmemacher Will Fraser geht hier ein Thema an, bei dem man erst einmal tief Luft holen möchte: Bach and Expression – Bach und Ausdruck. Das Feld an möglichen Betrachtungsweisen, das sich da auftut, ist von enormer Geschichts­tiefe und Breite an Möglichkeiten – und an Konflikten.
Der britische Organist Daniel Moult entwirft in der Einleitung zu Frasers etwa dreieinhalbstündigem Hauptfilm die Ausgangslage: Die Bewegung um die historisch informierte Aufführungspraxis ist von anfangs eher abstrakten, manchmal entfremdeten Konzepten gereift zu einem Ansatz, der Emotionalität und Wärme zulässt. Aber was ist Ausdruck, und wo ist er in Bachs Orgelmusik zu verorten? Zusammen mit Martin Schmeding, Professor an der Leipziger Musikhochschule, flicht Moult anschließend in sieben Kapiteln eine dichte Schaffensbiografie des Organisten Bach. Zur Sprache kommen italienische und norddeutsche Vorbilder, Pietismus und orthodoxes Luthertum, Quellenvarianten – hier ist Christine Blanken vom Bach-Archiv eine beeindruckende Gesprächspartnerin –
und Freiheitsgrade im Vortrag, Orgelproben und Festmahle (richtig: es geht um die Naumburger Stadtkirche), Affekte und musikalische Strukturen, Bachs Laufbahn und seine Persönlichkeit.
In Gesprächen auf Orgelemporen, in Anmerkungen von der Orgelbank aus und mit ausführlichen Beispielen entwickeln Moult und Schmeding ihr Porträt des Orga­nis­ten und Orgelkomponisten Bach. Diese Inszenierung ist deswegen wirkungsvoll, weil jede Hypothese und jeder Vorschlag immer nah an der konkreten Musik sind. Beide Organisten haben sich offensichtlich intensiv mit Bachs Lebens- und Schaffensbedingungen auseinandergesetzt; beide tragen immer wieder überraschende Gesichtspunkte bei und führen dann auch gleich vor, welche Rolle sie für den musikalischen Vortrag spielen.
Bei diesem Bemühen um Konkretion sind ihnen die Silbermannorgeln in Georgen- und Marienkirche Rötha, die Hildebrandt-Orgel der Jacobikirche Sangerhausen und die Trost-Orgel der Waltershausener Stadtkirche – jede bekommt ein eigenes Kurzporträt – wichtige Verbündete. Tonmeister Martin Fischer nimmt sie klar und mit erkennbarer Raumcharakteris­tik auf, sodass ihr Klang sehr plas­tisch und greifbar wirkt. Da hat intellektuelle Abgehobenheit keine Chance, alles wird konkreter, warmer Klang, in schwingender Leichtigkeit bei Schmeding, in sprechender Intensität bei Moult. Die besprochenen Stücke sind auf einer zweiten DVD und den beiden CDs ganz zu sehen bzw. zu hören.
Mithilfe der fabelhaften Musiker gelingt es Fraser immer wieder, die zahllosen Perspektiven auf die Musik selbst zuzuspitzen. „Bachs Musik ist nie abstrakt“, sagt Schmeding einmal, „sie ist komplex, fühlt sich aber nie so an.“ Er sagt das auf Englisch, und das ist vielleicht der einzige Nachteil dieser gelungenen Produktion: Gesprochen wird durchweg Englisch – wenn auch gut verständlich –, Untertitel werden nicht angeboten. Wer sich diesen Schatz erschließen will, kommt um dieses Hindernis nicht herum.

Friedrich Sprondel