Liszt, Franz

Ave Maria von Arcadelt

für Orgel arrangiert und hg. von Jürgen Geiger

Verlag/Label: Schott Music, ED 21322
erschienen in: organ 2012/04 , Seite 60

Als Franz Liszt sich ab 1861 für einige Jahre überwiegend in Rom aufhielt, mit unmittelbarem Kontakt zum Vatikan und zum Heiligen Stuhl, in der Hoffnung, dass dort endlich seine lange gewünschte Vermählung mit der Gräfin Caroline Sayn-Wittgenstein Realität werden möge, befasste er sich auch intensiv mit der traditionellen Chormusik der römischen Liturgie, wie sie zum Standardrepertoire der Sixtinischen Kapelle gehörte.
So ist auch die Bearbeitung von 1862/63 zu verstehen, die Liszt von Arcadelts Ave Maria für Orgel entwickelte, wobei er einen schlichten, jeglicher weltzugewandten Effekthascherei fernen vierstimmigen Chorgesang aus dem frühen 16. Jahrhundert aufzugreifen meinte. Nach heutiger Kenntnis stammt die Melodie zwar von Arcadelt, der vierstimmige Chorsatz jedoch aus der Feder von Liszts Zeitgenosse Pierre-Louis Dietsch, unter anderem Chordirektor an der Pariser Oper, so dass Liszt von seinen Pariser Aufenthalten her dieser eingängige Chorgesang „vertraut“ gewesen sein könnte.
Liszt versteht es allerdings meis­terhaft, diesen Satz zu einer kleinen musikalisch inszenierten Prozession zu transformieren: Wie von fernem Glockengeläut herangetragen, nähert sich der Orgelklang vom ppp her bis zum Einsatz des nahezu original zitierten Chorsatzes im mf und f, um dann wieder zyklisch fern und wie eine Erinnerung an das eben noch ergreifend nah Gehörte im ppp zu verhallen.
Der spieltechnischen Einfachheit steht dafür der typische gehobene Liszt’sche Anspruch an die Klangfarbencharakteristik und die dynamische Wandelbarkeit der Orgel gegenüber. Beseelt, nobel und fein klingende Flöten- und Streicherklänge hin zu sanglich-konturierten Prinzipalen sollten dieses vokal anmutende Stück tragen, zu dem man sich in Liszts verinnerlichter Andachtsstimmung beim „Singen mit den Stimmen des Herzens“ wiederfinden kann.
Als orientierender Impuls zu vorliegender Ausgabe wäre auf den vorhandenen Seiten noch Platz für die Disposition der im Vorwort erwähnten zweimanualigen Denstedter Pe­ternell-Orgel gewesen; auch wäre die Ladegast’sche idealtypische dreimanualige Orgel mit schwellbarem dritten Manual, wie der Orgelbauer sie beispielhaft 1857 für Schulpforta bei Naumburg entworfen hatte, eine organologisch passende Ergänzung, zumal das Liszt’sche Klangkonzept eine dreimanualige Klangabstufung erkennen lässt. Dennoch ist das Stück selbst auf einer reichlich mit differenzierten 8-Fuß-Registern besetzten einmanualigen Orgel noch einigermaßen darstellbar. Für eine praktische Ausgabe hätten es an der einen oder anderen Stelle vielleicht ein paar mehr der nur spärlich vorhandenen Fingersatzempfehlungen sein können.
Für Liszt-Liebhaber liegt hier zweifellos eine willkommene Einzelveröffentlichung vor, die bei geringem Übeaufwand im katholischen Gottesdienst auch schnell zum beliebten Standardstück sub communione werden kann.

Ralf Bibiella