Schroeder, Hermann

Ausgewählte Orgelwerke, Band 3: Große konzertante Werke

hg. von Raimund Keusen und Peter Alexander Stadtmüller

Verlag/Label: Schott Music, ED 21446
erschienen in: organ 2014/03 , Seite 60
Nach den Choralbearbeitungen und einer Sammlung kleiner Orgelstücke und Zyklen liegt bei Schott nunmehr Band 3 der Ausgewählten Orgelwerke von Hermann Schroeder (1904–84) mit großen konzertanten Werken vor. Ihre Entstehungszeit umfasst den Zeitraum von 1930/31 (Präludium und Fuge Christ lag in Todesbanden, Toccata c-Moll op. 5a und Fantasie e-Moll op. 5b) bis 1974 (Variationen über den tonus peregrinus). Zwischen diesen Eckdaten repräsentiert die Erste Sonate von 1956 einen Höhepunkt seines freien konzertanten Orgelschaffen, während die Partita Veni creator spiritus von 1958 exemplarisch für den gregorianischen Choral als Inspirationsquelle von Schroeders Komponieren insgesamt stehen darf. 
Dass die Stücke hier in chronologischer Reihenfolge wiedergegeben sind, macht ihre stilistische Entwicklung besonders plausibel. Sie wird einerseits formal und strukturell von großen Leitbildern mitbestimmt (etwa in der Verbindung von spätromantischer Harmonik mit der Polyphonie Bachs bei Reger oder dem Prinzip radikaler Linearität bei Hindemith), wie sie andererseits besonders in der mitreißenden Virtuosität der Frühwerke, aber auch in einer immer stärker persönlich geprägten herberen Tonsprache die unverwechselbare Handschrift des Komponisten bezeugt, zu der nicht zuletzt kontrapunktische Künste aller Art, die Verwendung alter Formen und die Überwindung des metrischen Schematismus gehören. 
Präludium und Fuge Christ lag in Todesbanden bezieht das thematische Material aus dem einzigen protes­tantischen (Lutherischen) Choral, den Schroeder bearbeitet hat. Der Werktitel, das große Pedalsolo im Präludium und der alles durchwehende polyphone Duktus lassen dieses „Josef Zimmermann, Organist an St. Aposteln, Köln“ dedizierte Werk in der Tat als eine „Hommage an Bach“ (Raimund Keusen) erscheinen. 
In der hochvirtuosen Toccata ist das Erbe Regers und des Impressionismus, in der Schroeders Lehrer Heinrich Lemacher gewidmeten Fantasie zusätzlich der Einfluss Rheinbergers kaum zu überhören. Dass und wie sich in beiden Kompositionen zum anderen bereits Elemente des Schroeder’schen Personalstils etablieren, verleiht beiden Frühwerken den Zauber des Aufbruchs, der vom kompositorischen Neuland, das sich der Komponist nach dem Zweiten Weltkrieg erschließt, allerdings noch nichts ahnen lässt. So findet Schroeder z. B. in der Sonate No. 1 zu einer kompakteren, konzentrierteren Form und zu einem von Hindemiths freitonaler Harmonik und kontrapunktischer Satztechnik geprägten Stil. 
Die Partita Veni creator spiritus darf als eindrucksvolle Demonstration kompositorischer Meisterschaft gelten, die eine Vielfalt harmonischer, melodischer und satztechnischer Mittel mit abwechslungsreicher Formgebung und Tempofolge (Toccata – Ostinato – Bizinium – Arioso – Fantasia/Ricercare) zu verbinden weiß. Vom Initium des Tonus peregrinus im Pedal-Unisono wirkungsvoll eröffnet, umspielen die zehn Variationen mit geradezu überbordender Spielfreude diesen ungewöhnlichen und tonal so schillernden Psalmton. 
Fazit: Von zwei profunden Kennern des Schroeder’schen Orgelschaffens herausgegeben, basiert die vorliegende kritische Ausgabe auf einer Neubewertung der Quellen. Die konzisen aufführungspraktischen Hinweise (Vorwort) sind eine wertvolle Hilfe für die organistische Praxis, die jetzt auf eine beispielhaft edierte Sammlung großer konzertanter Werke zurückgreifen und damit der Rezeption von Schroeders Orgelmusik neue und wichtige Impulse geben kann.
 
Peter Becker