Carpenter, Cameron

ARIA, Opus No. 1 for Organ Solo

Verlag/Label: Edition Peters 68310
erschienen in: organ 2012/02 , Seite 55

Cameron Carpenter (geboren 1981), der Dirty Boy of the Organ aus den USA, ist aufgrund seiner stupenden Tastenmotorik, überschäumenden Kreativität und offensiv vermarkteten Selbstdarstellungskunst quasi der erste Popstar der Digitalorgel.
Seine Transkriptionen (nach Werken von Bach, Chopin, Liszt, Chopin, Bizet, Ellington) und Eigenkompositionen (Love Song Nr. 1, Homage to Klaus Kinski) sind auf Carpenters nach Frédéric Chopins Revolutionsetüde mit Revolutionary betitelter CD veröffentlicht, die auf einem rein digitalen, also gänzlich pfeifenlosen, Synthesizer realisiert wurde. Mit dieser Veröffentlichung sollte auch der europäische Markt revolutioniert werden, und so folgte mit dem gleichen Konzept noch die CD-Einspielung Cameron Live.  
Nach einigen seit 2006 in den USA parallel veröffentlichten Kompositionen hat Carpenter mit seiner ARIA Opus No. 1 (komponiert am 20. April 2010 in Malibu, Kalifornien, USA) das erste nun in der Edition Peters veröffentlichte Orgelstück vorgelegt. Es wundert nicht – hat man die CDs des Künstlers im Ohr –, dass der technische Aufwand beträchtlich ist, obwohl das Stück dem Titel entsprechend ruhig und nicht allzu lang ist. Eine instrumentale Hürde ergibt sich bereits an den in Deutschland üblichen traditionellen Pfeifenorgeln durch die Erweiterung des Pedalumfangs bis zum g1 (und des Manualumfangs bis zum a3), weitere Schwierigkeiten ergeben sich durch über weite Strecken unbequemes Doppelpedalspiel und häufiges Spiel der linken Hand auf zwei Manualen gleichzeitig.
Dabei bleibt das Stück – gemessen am technischen Aufwand – gleichwohl recht konturlos. Da­rü­ber kann auch die expressive Dy­namik vom zarten Beginn im pp (dazu das melodisch führende Pedal in 2’-Lage im mp) bis hin zum ff in der Mitte des Stücks, über f, mf, mp zurückfallend bis zum pp am Schluss, kaum hinwegtäuschen; im Gegenteil: Solche Dynamik macht in dieser Form selbst an einer symphonisch disponierten Pfeifenorgel wenig Sinn, sie entspricht wohl eher den Möglichkeiten einer Digitalorgel, die über Crescendo-Schwelltritte solche Dynamik mühelos erzeugen kann.
So mag der Reiz dieses Stücks eher der elektronischen Orgel als der realen Pfeifenorgel zu entlocken sein und verlangt dabei unbedingt eine(n) versierten Spieler/in. Nichtsdestotrotz steht zu vermuten, dass solche Musik auch in unseren Breiten zunehmend gespielt und gehört werden wird – das Monopol der traditionellen Kirchenorgel wird auch hierzulande nicht auf ewige Zeiten aufrecht zu erhalten sein. Die vielerorts bereits in Gang gesetzte Neuordnung des kirchenmusikalischen Ausbildungs-Curriculums zugunsten einer verstärkten „Popularkirchenmusik“ weist bereits in diese Richtung. Routinierte „Virtuosen“ wie Cameron Carpenter könnten alternativen Konzepten möglicherweise zu einer gewissen künstlerischen Relevanz neuer Konzeptionen verhelfen. 

Torsten Laux