Aphorismen, Intonationen und Choralvorspiele zu 67 bekannten Liedern des Evangelischen Gesangbuchs

Kirchenjahr / Gottesdienst / Biblische Gesänge / Glaube – Liebe – Hoffnung

Verlag/Label: Carus 18.115/99 (2010)
erschienen in: organ 2010/04 , Seite 54

Bewertung: 4 Pfeifen

Nach der Einführung des neuen Evangelischen Gesangbuchs (1994-96) entstand die Idee, den (durch neu aufgenommene oder transponierte Melodien) entstandenen Bedarf an passenden Choralbearbeitungen durch eine Sammlung von Aphorismen, Intonationen und Cho­ralvorspielen zu decken. Zunächst erschien Band 1 (1997/98) mit ausgewählten Liedern zum Kirchenjahr (EG 1-154), danach Band 2 mit weiteren viel gesungenen Liedern aus weiteren Rubriken: Gottesdienst, Biblische Lieder, Glaube – Liebe – Hoffnung.
Zu den als wichtigstes Liedgut des Evangelischen Gesangbuchs erachteten Chorälen findet sich hier eine abwechslungsreiche Zusammenstellung. Dabei begegnen verschiedene historische Stile und Zitate; meist handelt es sich um notierte Improvisationen direkt aus der Praxis für die Praxis, einige Stücke sind aber darüber hinaus vielleicht doch auch als ernst gemeinte und liebevoll aus­gearbeitete „Bonsai-Kompositionen“ anzusehen. Insgesamt dominieren aber improvisatorische Spielfreude und in der so genannten „ernsten Musik“ nach wie vor eher seltener Humor mit sicher nicht ganz ernst gemeinten Zitaten großer Komponisten (wie z. B. der „Tristan-Akkord“ nach Richard Wagner in Martin Hagners „Jesu, meines Lebens Leben“ EG 86).
So lädt diese Sammlung zu einer vergnüglichen Entdeckungsreise in die Welt der spontanen gottesdienst­lichen Orgelimprovisation mit ihren überraschenden Möglichkeiten ein
– wie beispielsweise der Kombination des Liedes EG 46 Stille Nacht mit dem Volkslied Schlaf, Kindchen, schlaf oder der unverwüstlichen Toccata d-Moll von J. S. Bach mit EG 99 Christ ist erstanden (beides von Ingo Bredenbach), alles pfiffig (effektiv und effektvoll) und dankbar (möglichst leicht und widerstandsarm für Spieler wie Hörer) zubereitet. Auch gelungene Stil-Kopien (wie das barocke Concerto zu EG 1 Macht hoch, die Tür von Helmut Michael Brand) präsentieren gutes bis ausgezeichnetes Improvisations-Handwerk.
Das ausführliche Booklet berichtet über die Entstehung dieser Sammlung, die Architektur der Evange­lischen Stadtkirche (klassizistischer Kirchenbau von 1815-17 mit späterer Ausstattung im Jugendstil), die Baugeschichte der Orgel bis hin zum Neubau einer dreimanualigen Mönch & Prachtel-Orgel von 1976 (46 Register) unter Verwendung des denkmalgeschützten Prospekts der ehemaligen Link-Orgel von 1903 und später eingebautem Salicional 8’ im Hauptwerk (2003, anstelle der Quinte 2 2/3’), 4000-facher Setzeranlage und Röhren­glo­cken (2006) sowie Celesta (2008). Zur Disposition dieses Instruments kommt die Aufzählung der für alle hier vor­liegenden Aufnahmen verwendeten Re­gistrierungen. Die detailreichen Informationen werden durch Kurz­porträts der drei Autoren Helmut Brand, Ingo Bredenbach und Martin Hagner, die hier ihre eigenen Werke eingespielt haben, abgerundet. Platzsparend wird auf fremdsprachliche Übersetzungen der deut­schen Texte verzichtet, was sicher sinnvoll ist, da die CD sich als klingende Zutat zur Notenausgabe offensichtlich vor allem an Organis­tInnen richtet, vielleicht auch PfarrerInnen und Gemeindeglieder, die ohne gute Deutschkenntnisse ohne­hin kaum Freude am evangelischen Gottesdienst und dem dazuge­hö­renden Gesangbuch-Liedgut haben werden.
Es ist nicht empfehlenswert, die gesamte CD auf einmal zu hören – und sehr viel angenehmer bzw. angemessener, gezielt die eine oder andere Liedbearbeitung auszusuchen und zu genießen –, als das ganze Konvolut mit 67 Einzelnummern (= 6 mal 11 + 1!) additiv-auditiv zu verpulvern … So eignet sich diese CD als zwar unvollständige, aber durchaus inspirierende, quasi improvisierte und zur Improvisation anregende Enzyklopädie zum Evan­­gelischen Gesangbuch.
Torsten Laux