Alexandre Guilmant

18 Einzelwerke für Orgel

hg. von Kurt Lueders

Verlag/Label: Dr. J. Butz Musikverlag, BU 3078
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2023/02 , Seite 58

Alexandre Guilmant (1837–1911) war bekanntermaßen einer der vielseitigsten und erfolgreichsten Musiker seiner Zeit: Er war als Virtuose, Improvisator, liturgischer Organist, Komponist und Herausgeber zahlreicher vorbildhafter Neuausgaben alter Musik und Verfasser von Transkriptionen aktiv. Seine Ausgaben betreute er selbst mit akribischer Genauigkeit.
Die beachtliche Anzahl dieser im Laufe seines Lebens meist in Sammlungen veröffentlichten Stücke ist, neben den bekannten Sonaten, aber anscheinend nicht alles, was der Pariser Meister hervorgebracht hat. Kurt Lueders, der über Alexandre Guilmant an der Sorbonne promovierte, hat nun einen äußerst reizvollen Band an unedierten oder nicht erhältlichen Werken Guilmants herausgebracht. Ein riesiges Konvolut vom Pariser Konservatorium, jetzt in der Nationalbibliothek, und ein Fundus in der Sorbonne-Bibliothek, sowie Quellen in den USA wurden von Lueders recherchiert, um mit den 18 vorliegenden, vorwiegend kürzeren und meist leicht zu spielenden Werken aus allen Schaffensperioden einen bunten Strauß aus seinem musikalischen Lebenswerk aus Manuskripten und vergriffenen Drucken zusammenzubinden.
Darunter befinden sich die ers­ten von Guilmant verlegten Stücke, Offertoire und Prélude, 1861 für einen Kompositionswettbewerb verfasst. Beide lassen Guilmants Eleganz im thematischem Einfall und in der Verarbeitung, sowie seine Affinität zur „Alten Musik“ in Form von Hemiolen und einem barocken Fugato schon deutlich erspüren. Des Weiteren möchte ich Guilmants letzte Werkreihe, Trois Oraisons op. 94 von 1910 erwähnen, drei ruhige, einfache Meditationen, sowie am Ende des Bandes eine Reihe von liturgischen Musiken, die als Versetten oder Bearbeitungen gregorianischer Choräle liturgische Funktionen übernehmen können. Als Kuriosität kann ein Stück, das Guilmant in New York für die Aufzeichnung durch einen „Tonographen“ improvisierte (Brooklyn) und das nachträglich in Notenschrift übertragen wurde, gelten.
Die Fughetta de Concert op. 29bis, ein rechtes Virtuosenstück „alla Gigue“, ist für mich die Entdeckung dieser Veröffentlichung. Guilmant hatte sie 1871 ursprünglich für Harmonium komponiert und gegen Ende seiner Karriere äußerst effektvoll auf die Orgel übertragen.
Die Edition ist, wie man von Kurt Lueders nicht anders erwarten darf, von ausgesprochener Sachkenntnis, Liebe zum Detail und Akribie gekennzeichnet. Offensichtliche Fehler im Manuskript oder Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert, teilweise Angaben zum Pedalgebrauch praktischerweise ergänzt. Das informative Vorwort in deutsch und englisch und ein Glossar (D/E/F) führen ausgezeichnet in das Sujet der Quellensituation, den Ursprung und die Entstehungsgeschichte der Stücke ein.
Eine echte Bereicherung, nicht nur für Guilmant-Liebhaber.

Stefan Kagl