Bach, Johann Sebastian

„Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf“ BWV 226 (1729)

Fassung für Orgel von Rudolf Meyer

Verlag/Label: Edition Dohr 15280
erschienen in: organ 2016/03 , Seite 61

Grundsätzlich nichts gegen Übertragungen von geeigneten Vorlagen mit anderer Besetzung auf die Orgel – das Spekt­rum dieses Instruments ist repertoiremäßig gewiss längst nicht ausgeschöpft –, doch schießt da bisweilen nicht manches auch über das Ziel hinaus? Rudolf Meyer meint in seinem Vorwort, er habe eine Art Intavolierung vorgenommen. Ja, gut, das kann man freilich so sagen. Als Exemplum führt er Bachs Orgel-Fuge BWV 131a an, den letzten Satz der Kantate von 1707 Aus der Tiefen rufe ich, Herr, zu dir. Die Orgelfassung dieser Permutationsfuge stammt allerdings eher nicht von Bach und diese Fuge ist vierstimmig! Den achtstimmigen Doppelchor aus Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf gültig für die Orgel umzusetzen stellt dagegen ein erkleckliches Wagnis dar.
Sigfrid Karg-Elert hat sich seinerzeit der Motette Singet dem Herrn (BWV 225) angenommen, wohlweislich die komplexen Doppelchöre vermieden und sich mit dem Choral samt Zwischenteilen und Schlussfuge be­gnügt. Mit seiner Bearbeitung des Händel’schen Halleluja geht er sehr geschickt vor: Er verteilt zumindest zu Beginn „Chor“ und „Orchester“ auf zwei unterschiedliche Manuale und versucht so eine Differenzierung zwischen beiden funktionalen Ebenen. Meyer greift für den „Geist“-Doppelchor zu einem Trick: Er legt den einen Chor in die linke Hand – auf 4’-Basis. Das fiel vor ihm u. a. bereits Johann Gottlob Janitsch (1708–63) ein, der in seiner Sonata à 3 per l’Organo, also einer Trio-Sonate, die manus sinistra im Bassschlüssel schrieb und dazu „4’-Basis“ notierte – eine enorme ergonomische Erleichterung. Jedoch ein transparentes Trio gegen einen achtstimmigen Doppelchor mit Terz- und Sext­parallelen, ja, mit längeren dreistimmigen Akkordfolgen …?
Meyer meint selbst, dass „folgerichtige Stimmführungen niemals zu erreichen sind“. Da kann man ihm nur zustimmen. Auch die 4’-Basis der sinistra täuscht nicht da­rüber hinweg, dass es sich hier um eine manuelle Akrobatik handelt. An den wenigen Stellen kurzer Einchörigkeit muss auch noch die Rechte der Linken aushelfen oder umgekehrt. Die kunstreiche kontrapunktische Verflechtung der Stimmen des vokalen Originals – ist sie wirklich auf einem einzigen Tasteninstrument einigermaßen verlustfrei befriedigend darstellbar? Wenn Glenn Gould die verkreuzten Stimmen in den „Goldberg-Variationen“ auf einem (einmanualigen) modernen Klavier darstellt, ist das schon höchste Verflechtungskunst, die er auffallend unauffällig bewältigt. Aber ein Doppelchor wie hier?
Man darf ein wenig aufatmen, wenn in Takt 124 der 2. Teil des Eingangschors beginnt, denn dort vereinen sich gelegentlich die eine oder andere Stimme.
Durchatmen heißt es dann in der Fuge (Allabreve) Der aber die Herzen forschet. Diese Vierstimmigkeit ist eher durchführbar, auch wenn das Thema von Meyer mit einigen eigenen Figurationen koloriert wird. Der Schlusschoral ist aus Platzgründen nur noch auf zwei Sys­temen notiert. Wer aber die Tastenakrobatik bis hierher geschafft hat, wird auch keine Mühe haben, dabei das Pedal eigenständig zu extrahieren. Muss eine solche Bearbeitung also wirklich sein? Auch hier gilt am Ende wohl: … si placet!

Klaus Uwe Ludwig