Messiaen, Olivier
uvres pour Orgue
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Im Gegensatz zu manch anderem bedeutenden Orgelrepertoire kann die Aufführungspraxis der Orgelwerke Olivier Messiaens insofern auf einem vergleichsweise hohen und objektivierbaren Authentizitätsanspruch rekurrieren, als etliche noch lebende bzw. erst kürzlich verstorbene KonzertorganistInnen von Rang (Almut Rößler , Gerd Zacher , Hans-Ola Ericsson, Jennifer Bate u. a. m.) mit dem Komponisten selbst an den Interpretationen seiner Kompositionen gearbeitet haben. Dieser besondere Umstand wird zusätzlich durch die Tatsache begünstigt, dass Messiaen nachweislich besonders zielorientiert an den aufführungspraktisch einschlägig relevanten Parametern Tempo, Artikulation und Registrierung gearbeitet hat.
Der blinde, 1935 geborene französische Konzertorganist und langjährige Professor für Künstlerisches Orgelspiel am Conservatoire National de Région de Rouen (Normandie) Louis Thiry gehört zu denjenigen Interpreten, die Messiaen ganz besonders geschätzt hat davon zeugen zahlreiche Widmungen und schmeichelhafte Zitate des Komponisten. Die vorliegende Aufnahme entstand bereits 1972, wird aber jetzt in einer nachbearbeiteten und digital remasterten Fassung vom französischen Label Caliope als Box mit drei CDs wiederveröffentlicht.
Thiry interpretiert ausgewählte Orgelwerke Messiaens LAscension, Les Corps glorieux, La Nativité du Seigneur, Messe de la Pentecôte, Livre dorgue, Le banquet céleste und LApparition de lÉglise Éternelle an der großen Metzler-Orgel der Kathedrale St. Pierre in Genf (1965, IV/ 67). Leider sind die Informationen zur Orgel im Booklet eher knapp gehalten; wenigstens die Wiedergabe einer Disposition wäre hilfreich gewesen vor allem, da der Interpret sich an diesem neoklassischen Instrument nicht immer akribisch an die Registriervorschriften des Komponisten hält. Obwohl Messiaen in dieser Hinsicht stets allein das klangliche Endergebnis im Fokus seines künstlerischen Urteils hatte (und nicht die sklavische Übernahme von Registriervorgaben eins zu eins), was wir etwa aus zahlreichen Äußerungen und Texten Almut Rößlers wissen, die anlässlich der europäischen Erstaufführung der Méditations in Düsseldorf entstanden sind. Das Genfer Instrument besitzt reichlich Klangfülle, Präsenz und Farbigkeit, die Tontechnik dieser älteren Aufnahmen ist ganz ausgezeichnet.
Thiry präsentiert auf den CDs einen Querschnitt der Orgelwerke bis ca. 1950. Damit wird der Weg des Komponisten aus der harmonisch noch Debussy reflektierenden Frühphase hin zum atonalen Serialismus (Livre dorgue) aufgezeigt einem Stil, den der Komponist später als Irrweg bezeichnen sollte. Besonders in den Werken der mittleren Schaffensperiode (Messe de la Pentecôte und Livre dorgue) überzeugt Thirys lupenreine Interpretation ohne falsche Manierismen. Bei den Frühwerken wünscht man sich etwas mehr Ruhe in den langsamen Sätzen, etwas mehr schwärmerische Betrachtung des Notentextes. Dies bleiben allerdings marginale Wünsche des Rezensenten an eine nahezu perfekte Interpretation eines ganz großen Interpreten auf einem hervorragenden Instrument. Diese Aufnahme darf fraglos noch heute Referenzcharakter beanspruchen, zumal sie vom Komponisten selbst geadelt und (zu Recht) bereits mit dem Grand Prix du Disque ausgezeichnet wurde.
Fast möchte man vergessen (das Booklet verschweigt auch dies), dass Louis Thiry sowohl aufgrund seiner Blindheit als auch einer Kriegsverletzung an der Hand wegen deutlich gehandicapt ist. Dies abschließend nicht unerwähnt zu lassen, hebt die Aufnahme auf einen ganz besonderen Ehrenplatz in der Reihe der bedeutenden Messiaen-Einspielungen. Wäre da nicht am Ende das für organophile Ansprüche allzu magere Booklet, verdiente diese erfreuliche Re-Edition seitens der Kritik auch heute die höchste Wertung.
Jörg Abbing