Franck, César

Œuvres Posthumes et Inédites

Verlag/Label: 2 CDs, Ricercar RIC 324 (2012)
erschienen in: organ 2013/02 , Seite 54

4 von 5 Pfeifen

Joris Verdin, Organist und Musikwissenschaftler, Professor am Königlichen Konservatorium in Antwerpen und an der Universität Leuven, vervollständigt mit seiner im Mai 2011 aufgenommen Doppel-CD sein Franck-Intégrale. Die bekannten großen Orgelstücke Francks hatte er zuvor schon an den Cavaillé-Coll-Orgeln in Rouen (St-Ouen), San Sebastian und im baskischen Azkoitia aufgenommen.
So beginnt die erste CD mit der äußerst interessanten Pièce en mi bémol aus dem Jahre 1846 sowie mit den auch im Verlauf der zweiten CD zu findenden Pièces Posthumes pour Harmonium ou Orgue à pédales pour l’office ordinaire aus den Jahren 1858-63, die als L’Organiste II 1905 bei Enoch in Paris verlegt wurden. Der durchaus apokryphe Titel suggeriert bei den viel früher entstandenen Stücken eine Fortsetzung der 1890 entstandenen unvollendeten Sammlung von Harmo­nium­stü­cken L’Organiste I, was eigentlich in die Irre führt. Franck schrieb diese liturgischen Stücke zu der Zeit, als er als Kapellmeis­ter an Sainte-Clotilde fungierte und seine Ernennung zum Organiste titulaire erwartete. Nach dieser Sammlung folgen zwei Petites Offertoires, das bekannte Andantino Sol mineur sowie die solitäre Pièce pour Grand Orgue von 1854.
Verdins Wahl der 1855 erbauten Cavaillé-Coll-Orgel von Notre-Dame de Saint-Omer in der Haute-Normandie nahe der belgischen Grenze ist bezeichnend für den musikwissenschaftlichen Standard dieser wertvollen Produktion. Das Instrument mit seinen vier Manualen (Positiv, Grand Orgue, Bombarde, Récit expressif) und Pedal mit 49 Registern stammt aus der mittleren orchestralen, also strenggenommen vorsymphonischen Bauperiode des Pariser Meisters und verfügt neben einem frisch klingenden klassischen Plein Jeu über eine kraftvoll intonierte Zungenbatterie auf dem Bombarde-Klavier. Das Werk vereint zahlreiche Fonds und Solostimmen, die für die Darstellung gerade dieser Werke Francks prädestiniert erscheinen, markieren diese in ihrer Eigenart ein stilistisches Bindeglied zwischen Lefébure-Wély und Widor. Sie sind eben keine symphonische Konzertmusik, sondern genau die Art von qualitätvoller kirchlicher Gebrauchsmusik seiner Zeit, deren Existenz im kompositorischen Œuvre Francks zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer vernachlässigt, wenn nicht gar verschwiegen wurde.
Die Aufnahmetechnik ist sehr direkt, sie lässt alle Register und Klangkombinationen der Orgel klar hervortreten, zeichnet deutlich und bringt den vielfarbigen Klang des Instruments sehr gut zur Geltung. Das kommt der außerordentlich vielseitigen Registrierpraxis Verdins sehr entgegen. Es macht Freude, ungewöhnliche und selten gehörte Registermischungen resp. -gegenüberstellungen an einer so klangschönen Cavaillé-Coll-Orgel genießen zu können, der man in der gängigen orgelsymphonischen Praxis so kaum mehr begegnet. Dadurch gewinnen die kurzen liturgischen Werke an Kontur und ihrer kompositorische Vielgestaltigkeit tritt erst in Erscheinung. Verdins Spiel ist korrekt, beherrscht und erfrischend musikantisch, technisch einwandfrei und musikalisch gut gestaltend.

Stefan Kagl