Iranyi, Gabriel (*1946)

„Wie man zum Stein spricht …“ für Orgel solo

Verlag/Label: Verlag Neue Musik Berlin, NM 2473
erschienen in: organ 2016/03 , Seite 62

Inspiriert wurde Gabriel Iranyis Musik von dem Gedicht Radix, Matrix von Paul Celan; einige Verse werden im Notentext auch zitiert. Der 1946 geborene Komponist rumänisch-ungarisch-jüdischer Herkunft schreibt: „Mir schwebte schon seit längerer Zeit vor, ein von Celans Radix, Matrix inspiriertes rein-instrumentales Musikstück zu komponieren. Als Titel meiner Komposition habe ich die erste Zeile dieser Dichtung übernommen.“ Iranyi weist auf die Nachkriegsgeneration hin, für sie sei die Lebenserfahrung Celans exemplarisch: „Czernowitz, Zwangsarbeit, Schoah, Übersiedlung nach Wien und später nach Paris.“
Iranyi bemerkt, dass die Musik keine rein narrative Absicht verfolgt. Stattdessen sei sie vielschichtig und spiele mit den Materialien und Erinnerungen. Dennoch zeigt sich durch die hinzugefügten Textfragmente ein Formverlauf, welcher der Dichtung klar zuzuordnen ist. Die ruhige Einleitung kontrastiert tiefe Pedaltöne mit hohen Clustern („vom Abgrund her“). Langsam aufsteigende Linien verdeutlichen die Entfernung der Töne. Der Abschnitt „zugeschleuderte Heimat“ zerstört mit aufwallenden Arpeggien das Klangbild. Clusterbrocken unter einem Pedal-Liegeklang sind „mir im Nichts einer Nacht“ zugeordnet.
Im zweiten Abschnitt „Tempo agitato“ bricht die Musik brutal auf und entwickelt sich zu einem wilden Klangtunnel („wer war jenes Geschlecht, jenes gemordete“). Der dritte, „jammernde“ Abschnitt wird von rhythmischen Gebilden unterbrochen, während der Schlussteil im langsamen Tempo die Musik zur Ruhe bringt, schaudernd, den Griff ins „Nichts“ bildend, den Celan in seinem Text beschwört.
Der Rezensent hat das Werk am 10. April diesen Jahres in der Kunst-Station Sankt Peter Köln im Rahmen des Festivals „Forum neuer Musik“ des Deutschlandfunks uraufgeführt. Dabei kamen einige Erweiterungen zum Einsatz, die sich für eine Aufführung empfehlen. Ein leiser und trotzdem obertonreicher Klang ist zu Beginn hilfreich. So sollten die leisen Klänge hell regis­triert sein. Am Anfang wurde eine Streichermixtur (Aeolsharfe) benutzt, um diatonische Cluster darzustellen. Diese wurden mit dem sich bewegenden Schweller moduliert.
Später wurden einzelne Melodiefragmente mit hellen Timbres durch das Schlagwerk hervorgehoben. Beim „Molto agitato“ fallen die Töne gegeneinander. Der erwähnte „Klangtunnel“ wurde durch eine Intervallkoppel mit zusätzlicher kleiner Septe verdichtet. Die Schlussteile wurden im Wind gedrosselt, so dass sich eine trübe, gedämpfte Stimmung ergab. Dankenswerterweise hat Iranyi diese Techniken in der Partitur notiert, ohne sie für den Interpreten zwingend vorzuschreiben.
Das Werk lässt sich auf einer mittelgroßen zweimanualigen Orgel mit Schwellwerk gut darstellen. Es erfordert eine abwechslungsreiche Registrierung. Dennoch lässt es sich durch die vier getrennten Abschnitte ökonomisch registrieren. Eine Besonderheit ist die Notation, bei der die rechte Hand mit 4-Fuß nahezu durchgängig eine Oktave höher auf einem separaten Manual darzustellen ist.

Dominik Susteck