Lehrndorfer, Franz

„Ein Männlein steht im Walde“

Humoristische Variationen für Orgel

Verlag/Label: Dr. J. Butz, BU 2669
erschienen in: , Seite 63
Franz Lehrndorfer (1928–2013), den ersten ARD-Preisträger im Fach Orgel (1957) und später überregional gefragten Professor an der Musikhochschule Münchens sowie Organisten des Münchener Liebfrauendoms, als ersten „modernen“ katholischen Organisten im Nachkriegsdeutschland zu bezeichnen, ist sicherlich eine realistische Einschätzung dieses Ausnahmemu­sikers. Generationen von Domorganisten und Hochschulprofessoren sind aus seiner Schule hervorgegangen; sein Ruf als extrem vielseitiger Interpret eines universalen Orgelrepertoires wurde durch zahllose Konzerte im In- und Ausland immer wieder bestätigt. Lehrndorfer war allerdings kein „Spezialist“ im postmodernen Sinne, sondern ein aus klugem Musikantentum instinktsicher schöpfender Interpret, der sich zugleich intensiv mit den (damals erreichbaren) Quellen und Überlieferungsfragen älterer Orgelmusik beschäftigte; hieraus resultierte unter anderem manch überzeugende und mitreißende Bach-Interpretation.
Eine besondere Gabe Lehrndorfers war seine ganz eigene Improvisationskunst, die er aus den engen Grenzen des obligatorischen liturgischen „Organisten-Zwirns“ he­rausführte, wodurch er zahllosen OrganistInnen, Kirchen- und Konzertbesuchern ebenso innige wie prägende musikalische Eindrücke vermittelte. Mit allen Wassern der Harmonielehre und Satzkunst gewaschen, scheute er sich nicht, ganz ungeniert liebenswürdig „barockige“ Formmodelle neben völlig anders berührende, tonal entfremdete Improvisationsmeditationen zu stel­len. Seine Bedeutung als singulärer Improvisator mag eine Einladung des NDR im Jahre 1983 in den Hamburger „Michel“ dokumentieren, als die beiden profiliertesten nationalen Vertreter dieser Kunst, nämlich Pierre Cochereau (Notre Dame de Paris) und eben Lehrndorfer, zu einem edlen (und – natürlich – unentschiedenen) Wettstreit antraten. 
Eine bahnbrechende und bis dahin völlig „unerhörte“ Platte entstand eher zufällig im Jahre 1968 an der Steinmeyer-Orgel der Münchener Musikhochschule: Die heitere Orgel beinhaltet Improvisationen Lehrndorfers über Kinderlieder. Diese Platte machte über Jahrzehnte hinweg Furore und fehlte praktisch in keinem Plattenschrank.
Der Organist Ralf Bölting hat 1988 hieraus die Variationen über Ein Männlein steht im Walde akribisch abgehört und zu Papier gebracht. Die spieltechnischen Anforderungen halten sich in angenehmen Grenzen, die Musik ist allemal witzig und bestens geeignet, in fröh­lichem Kontext das eine oder andere (Kinder-)Orgelkonzert zu bereichern. Bölting hat die originalen Registrierungen sinngemäß überliefert, so, dass die Charaktere der einzelnen Variationen schnell deutlich werden. Trotzdem empfehle ich, sich die nach wie vor erhältliche CD (Thema & Variationen, Vol. 1: Improvisationen über Kinderlieder; Franz Lehrndorfer, Orgel und Celesta; Celestial harmonies 13208-2) anzuhören – die spritzige Artikulation des Improvisators (Steinmeyer’­sche Taschenlade) und seine pfiffigen Registrierungen an der schönen, angenehm „orgelbewegten“ ehemaligen Münchener Hochschulorgel sind und bleiben ein Hörgenuss!
 
Christian Brembeck